Zwischenruf Dobro poschalowatch, Gospodin President!
06.11.2008, 14:46 UhrDie ganze Welt ist im Obama-Rausch. Die ganze? Nein, hoch droben, zwischen Ostsee und Pazifik widersteht einer, der schon Staatschef ist, der Welle der Begeisterung für den designierten US-Präsidenten.
Dmitri Medwedew hätte sich keine bessere Gelegenheit für seine Raketenbotschaft aussuchen können, als den Tag nach dem Urnengang in den Vereinigten Staaten. Die Ankündigung, als Antwort auf den geplanten US-Raketenabwehrschirm in Polen Kurzstreckenraketen in der Exklave Kaliningrad zu stationieren, schlug ein wie eine Rakete und garantierte ein weltweites Echo. Zugleich geht es um ein ummissverständliches Zeichen: Was auch immer der Nachfolger von George W. Bush an Friedens- und Dialogbotschaften verkündet, reicht nicht. Moskau will Taten sehen, keine Versprechen. Ein Raketenabwehrsystem vor der Haustür wird als Bedrohung empfunden, egal, wer im Weißen Haus sitzt.
Dies wird nicht nur im Kreml, sondern mittlerweile auch in der SPD-Bundestagsfraktion so gesehen. Fraktionschef Peter Struck sagt, die Reaktion wäre "verständlich". Umso mehr, dass sei nachgeschoben, weil die USA zum Schutz der Anlage Kurzstreckenraketen in Stellung bringen wollen. Schon Washingtons Argument ist brüchig, das Abwehrsystem richte sich gegen Raketen aus dem Iran oder Nordkorea (!). Die US-Kurzstreckenraketen reichen bis dahin ganz sicher nicht, wohl aber bis nach Russland oder Belarus.
Doch die erste Rede Medwedews an die Nation nach sechs Monaten im Amt ist nicht nur Drohgebärde, sondern auch Programm. Der Nachfolger von Wladimir Putin formuliert klar das Ziel, Russland wieder zu einer Macht werden zu lassen, die mit den USA auf Augenhöhe verhandelt. Nach dem Kollaps des US-Bankensystems will Russland die Regeln auf den Finanzmärkten mitbestimmen. Das Ziel Finanzplatz Nummer eins zu werden, ist unrealistisch. Aber Moskau hält mit knapp 485 Milliarden Dollar nach China und Japan die drittgrößten Devisenreserven der Welt; seine Erdgaspistolen könnten sich wirkungsvoller erweisen als Maschinenpistolen. Obzwar die Russische Föderation nicht zögert, auch die ohne Zögern einsetzen, wie das Vorgehen in Abchasien und Südossetien beweist.
Wenn Barack Obama und Dmitri Medwedew Mitte des Monats einander beim Weltfinanzgipfel in Washington das erste Mal begegnen, werden auf beiden Seiten des Tisches keine Friedensengel mit Palmwedeln in der Hand sitzen, sondern knallharte Repräsentanten strategischer Interessen. Indirekt nimmt auch China mit am Verhandlungstisch Platz. Auf russischer Seite. 24 Stunden nach der Medwedew-Rede traf in Moskau eine Delegation ein. Das Anliegen: die Festigung der Kooperation bei der Gewährleistung der internationalen Sicherheit.
Das Ende der Ära Bush wurde am 4. November eingeläutet. Wann und ob wieder Friedensglocken erschallen, ist ungewiss. In diesem Sinne: Welcome, Mr. President.
Quelle: ntv.de