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Italien und Europa setzen auf Napolitano Ein Greis als Hoffnungsträger

Muss im Quirinalspalast bleiben: Giorgio Napolitano.

Muss im Quirinalspalast bleiben: Giorgio Napolitano.

(Foto: dpa)

Giorgio Napolitano ist derzeit der einzige überzeugende Politiker Italiens. Mit fast 88 Jahren tut er sich eine zweite Amtszeit als Staatspräsident an. Er steht vor einer riesigen Herausforderung. Das drittgrößte Euro-Land ist noch immer ohne Regierung und Europa-Schreck Berlusconi erstarkt.

Wie sich die Zeiten ändern: Vor mehr als zwei Jahrzehnten wurde über die kommunistischen Politbürogarden in den Ostblockstaaten gelästert, die den wirtschaftlichen Niedergang ihrer Staaten verkörperten. Zu Recht, denn es waren mitunter fürchterliche Bilder, die von den Parteitagen von KPdSU, SED  und anderen Parteien des sogenannten sozialistischen Weltsystems in die Welt gesendet wurden. Die alten Herren waren in der Regel hoch in den 70ern, schliefen während der Sitzungen ein und waren - gelinde gesagt -  Veränderungen gegenüber nicht mehr so aufgeschlossen. So machte auch der damalige DDR-Bürger seine Späßchen: Das Hereintragen des Politbüros galt als erster Tagesordnungspunkt eines SED-Parteitags. Im Westen, wo die Regierungschefs überwiegend noch nicht das Rentenalter erreicht hatten, wurde man nicht müde, auf die senilen Führungsriegen im europäischen Osten zu verweisen.  

Insofern ist es schon verwunderlich, dass nun im drittstärksten Euro-Land Italien mit Giorgio Napolitano ein Mann, der stramm auf die 90 zugeht, zum großen Hoffnungsträger avanciert. Die völlig danebengegangene Präsidentenwahl sorgt dafür, dass der 87-jährige elfte Staatschef der Italienischen Republik eine zweite Amtsperiode in Angriff nehmen muss. Gesetzt der Fall, es wird während der Legislaturperiode kein Nachfolger gefunden, amtiert Napolitano bis zum Alter von fast 95 Jahren. Offenbar braucht das krisengeschüttelte Land sehr alte Männer, die es zusammenhalten.

Italienische Präsidenten sind in der Regel im gesetzten Alter. Der von 1978 bis 1985 amtierende fußballverrückte Sandro Pertini war am Tag seiner Wahl 81. Oscar Luigi Scalfaro (1992-1999) wurde 80-jährig in das höchste Staatsamt gewählt. Napolitanos direkter Vorgänger Carlo Azeglio Ciampi (1999-2006) wurde mit "nur" 79 Jahren Staatsoberhaupt. Aber im Gegensatz zu Napolitano tat sich keiner der Genannten eine zweite Amtszeit mehr an.

Desaster für Bersani

Dabei verdient der ehemalige Kommunist Respekt. Im Gegensatz zu vielen Politikern ist ihm Italien nicht egal. Napolitano lässt sich deshalb noch einmal in die Pflicht nehmen. Das unwürdige Gezerre der politischen Parteien um einen Nachfolger verdammt den großen Alten der italienischen Politik, dem Schwächen körperlicher Art natürlich anzusehen sind, zum Verbleiben im römischen Quirinalspalast.

Auf ganzer Linie gescheitert: Pier Luigi Bersani.

Auf ganzer Linie gescheitert: Pier Luigi Bersani.

(Foto: REUTERS)

Für Italiens politische Klasse ist dies eine Bankrotterklärung . Und diesmal ist ausnahmsweise nicht nur Silvio Berlusconi schuld. Es ist vor allem das linke Lager, das für Chaos sorgt. Der Chef der Demokratischen Partei (PD), Pier Luigi Bersani, erlebte sein politisches Debakel. Der mit Berlusconi ausgehandelte Franco Marini, er ist auch schon 80, fiel bei einem großen Teil der Linken durch. Danach wurde noch der ehemalige Ministerpräsident Romano Prodi in unwürdiger Weise verheizt. Dabei war dessen Kandidatur ohnehin äußerst unklug, denn es konnte nicht davon ausgegangen werden, dass Berlusconi ausgerechnet seinen Erzrivalen wählen lässt. Aber auch rund 100 linke Parlamentarier verweigerten Prodi die Gefolgschaft. "Jeder Vierte unter uns hat Verrat geübt", jammerte Bersani lautstark und machte danach endlich einen richtigen Schritt - seinen Rücktritt von der PD-Spitze. Kräftig an seinem Stuhl hat dabei sein Partei-"Freund", der junge Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi, gesägt.  

Taumelndes Italien

Schon während der Koalitionsverhandlungen war der Riss innerhalb des linken Lagers sichtbar. Die verkorkste Präsidentenwahl vergrößerte diesen nur noch. Fänden jetzt Parlamentswahlen statt, würde Berlusconis Mitte-Rechts-Lager im Parlament stärkste Kraft. Italiens Euro-Partner hoffen und beten, dass Napolitano dies verhindern kann und zumindest für zwei Jahre eine irgendwie funktionierende Regierung zusammenmoderiert.

Denn Italien taumelt - ökonomisch und politisch. Mehr als zwei Billionen Euro Schulden hat das Land. Die Staatsverschuldung beträgt mehr als 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Zahl der Arbeitslosen steigt und steigt, seit Mitte 2011 quält den Stiefelstaat die Rezession. Dazu hat es mit Mario Monti einen Übergangsregierungschef, der keine großen Reformen mehr anpacken und dementsprechend das Elend nur verwalten kann. Der bei der jüngsten Parlamentswahl abgestrafte ehemalige EU-Kommissar hat auch mehr als deutlich klargemacht, dass er keine Lust mehr auf das Regieren hat.

So ruhen die Hoffnungen Italiens und Europas auf dem greisen Napolitano. Im Gegensatz zur Bersani und Berlusconi genießt er im Ausland großes Ansehen. Bleibt zu hoffen, dass die Abgeordneten, die Napolitano ihre Stimme zum Weitermachen gegeben haben, seine Bemühungen um die Bildung einer neuen Regierung nicht torpedieren.

Quelle: ntv.de

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