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Die Freiheit des Joachim Gauck Ein Thema mit vielen Facetten

Gauck hat den Menschen etwas zu sagen.

Gauck hat den Menschen etwas zu sagen.

(Foto: dpa)

Vor seiner Antrittsrede eilt Joachim Gauck der Ruf voraus, zwar ein begnadeter Redner zu sein, aber nur ein Thema zu haben - die Freiheit. Nach 23 Minuten im Bundestag ist klar: Gauck erreicht die Menschen und sein Thema ist groß genug, um in den nächsten fünf Jahren wesentliche Impulse auf verschiedenen Politikfeldern zu liefern.

Joachim Gauck kann sich nicht über mangelnden Zuspruch beklagen, selten ist ein Bundespräsident angetreten, dem Bürger wie Politiker so zugewandt sind. Das zeigt nicht nur sein überzeugendes Wahlergebnis, das zeigen auch die vielen Menschen, die sich vor dem Reichstag über seine Wahl freuten.

Gauck fühlt sich davon genötigt zu sagen: "Ich kann Sie nur bitten, die ersten Fehler gütig zu verzeihen und von mir nicht zu erwarten, dass ich ein Supermann und ein fehlerloser Mensch bin." Der "linke, liberale Konservative", wie er sich selbst nennt, hat ein großes Thema mit ins Amt genommen, die Freiheit, oder wie er den Begriff gern erweitert: die Freiheit in Verantwortung.

Die wenigen kritischen Stimmen, die rund um Gaucks Wahl zu hören waren, beschäftigten sich beinahe ausnahmslos mit dieser Tatsache. Es wurden Befürchtungen laut, Gauck habe zu anderen Themen wohl kaum etwas beizutragen, zur Schuldenkrise, der Zukunft des Sozialstaates oder der Integration von Muslimen und anderen Zuwanderern etwa. Wenn Gaucks Antrittsrede nun vielleicht auch nicht die beste war, die er je gehalten hat, den Zweiflern hat er doch deutlich geantwortet.

Überzeugend formuliert

Zum einen fand er für die Mordtaten der NSU Worte in einer Deutlichkeit und Präzision, wie man sie so bisher nicht gehört hat. Sein "Euer Hass ist unser Ansporn" ist eine brillante Formulierung der Abgrenzung zu den "rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie" und geht damit weit über die sonst so oft verwendeten Standardsätze hinaus. Den Rechtsextremen das Feld zu überlassen, hieße das Land im Stich zu lassen. Unter dem geht es für Gauck nicht.

So scharf sagt Gauck das, weil seine Botschaft die Freiheit ist. Spätestens seit heute wissen wir, dass das Thema sehr viel größer ist als bisher angenommen. Denn Gaucks Freiheitsbegriff ist weit davon entfernt, ein marktradikaler zu sein. Deshalb redet er eben nicht den entfesselten Kräften des Kapitalismus das Wort, sondern verweist auf den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Freiheit.

Soziale Gerechtigkeit als Beitrag zur Freiheit und das Bemühen um Gerechtigkeit als Bedingung dafür, "Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu machen". So klingt Gaucks Plädoyer für mehr Chancengleichheit und soziale Teilhabe. Die Zukunft des Sozialstaates wird sich nach Gaucks Ansicht daran entscheiden, ob er in der Lage ist, soziale Gerechtigkeit zu erhalten.

Anforderung an die Bürger

Freiheit ist aber auch die freiheitliche Grundordnung, die Form deutscher Demokratie des 21. Jahrhunderts. Dieses Modell ist für Gauck undenkbar ohne den Bürger, seine Beteiligung und  die Wahrnehmung seines Wahlrechts. Deshalb hält er nichts von der Geringschätzung gegenüber politischer Arbeit oder Politikern und sagt das auch. Hier kommt die Verantwortung ins Spiel: die der Politiker, klar und offen zu sein und die der Bürger, nicht zu meckernden Politikkonsumenten zu verkümmern. Hier spricht Gauck, der Demokratielehrer.

Gaucks Vorgänger Christian Wulff hat mit seinem Satz: "Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland" eine Formulierung zur Integrationsdebatte gefunden, die vielleicht sogar als Vermächtnis seiner kurzen Amtszeit gelten kann. Der neue Bundespräsident Gauck sieht Integration nicht so sehr als Weg in die nationale Zughörigkeit, sondern als Eintritt in eine "politische und ethische Wertegemeinschaft". Die Freiheit dazu hat jeder, der in Deutschland leben möchte. Die deutsche Verfassung spreche aber allen Menschen dieselbe Würde zu, ungeachtet vom Erfolg ihrer Integration. Dies kann man wohl als Antwort auf Thilo Sarrazin verstehen, der niemanden anerkennen wollte, "der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert".

Gauck hat mit seiner Antrittsrede bewiesen, dass er ein Nachdenker ist, einer, der bereit ist, sich inspirieren zu lassen. Aber er hat auch in seinem Leben Überzeugungen gewonnen, die er zu verteidigen bereit ist. Er ist ein "Liebhaber der Freiheit", ein Freund des offenen Wortes. Und er hat etwas zu sagen, zu mehr als einem Thema.

Quelle: ntv.de

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