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Zwischenruf Ein bisschen (mehr) Frieden

Wie nun? Hat der Iran sein Atomwaffenprogramm 2003 auf Eis gelegt, wie es der jüngste "National Intelligence Estimate" (NIE) von 16 US-Geheimdiensten für das Weiße Haus suggeriert? Oder geht das Ganze in aller Heimlichkeit weiter, wie Israels Verteidigungsminister Ehud Barak reagiert? Einer von beiden hat Unrecht. Zunächst ist denkbar, dass sich NIE oder Barak irren. Doch es ist wahrscheinlich, dass jedes der Erklärungsmuster den politischen Zweck dem Wahrheitsgehalt unterordnet.

Israels Regierende betrachten den Iran als das eigentliche Sicherheitsrisiko. Hamas und Co. sind untergeordnete Bedrohungen. Stellt schon ein konventionell bis an die Zähne gerüsteter Iran eine Gefahr dar, um wie viel mehr ist es dann ein Regime, das nach Atomwaffen strebt. Der Iran ist der einzige Staat im Nahen und Mittleren Osten, der fähig und willens wäre, Israel anzugreifen. Zugleich braucht Israel den Popanz eines nuklearen Iran, um den eigenen - nie eingestandenen - Besitz von Atomwaffen zu rechtfertigen.

In den USA wird darüber diskutiert, wie weit eigentlich die Unterstützung für Israel gehen kann. Öffentlich angestoßen wurde die Diskussion nicht zuletzt wieder durch das jüngst erschiene Buch "The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy" von John Mearsheimer und Stephen Walt. Beide stellen die Politik Washingtons gegenüber Jerusalem in Frage. Die Quintessenz: Worin besteht der Nutzen, ein Land mit jährlich drei Milliarden Dollar Militärhilfe und vielem anderen mehr unter die Arme zu greifen, wenn die eigentlichen Interessen der Vereinigten Staaten eigentlich einen ungetrübten Schulterschluss mit den Ölnationen der Region (und Gegnern Israels) erforderten?

Nun stören die engen Bindungen zwischen dem Staat Israel und den Vereinigten Staaten die Öl- und anderen Scheichs nicht wirklich, solange der (Petro-)Dollar in ihren Kassen klingt. Das Schicksal der Palästinenser berührt die Machthaber vom Libanon über Saudi-Arabien und die Golfemirate bis in den Jemen ohnehin nur in dem Maße, wie sie es als Spielmasse für die Durchsetzung der eigenen Belange einsetzen können.

Von Öl getrübter Blick

Die israelische Furcht, dass die Bush-Administration ihre Beziehungen zu Israel durch eine ölverschmierte Brille sieht, sind so unbegründet nicht. Schon zu Beginn seiner ersten Amtszeit hatte der Spross texanischer Erdölmilliardäre durch seine unklare Linie gegenüber Israel für reichlich Verstimmung in den Jerusalemer Regierungsetagen gesorgt.

Die Iranpassagen des NIE-Berichts wären nie an die Öffentlichkeit gelangt, wenn es das Weiße Haus nicht gewollt hätte. Nun ist es einerseits möglich, sich dem israelischen Drängen nach einer kompromisslosen Haltung - einen Angriff eingeschlossen - gegenüber Teheran zu entziehen. Damit wird mithin eine militärische Aktion der USA gegenüber dem Iran immer unwahrscheinlicher. Ein weiteres Desaster la Irak kann sich Bush zum Ende seiner Amtszeit nicht leisten.

Einer der Hauptgründe für die Teilnahme der so genannten gemäßigten arabischen Staaten an der Nahostkonferenz von Annapolis war die Furcht vor dem Iran. NIE eröffnet den sich um die Saudis gruppierenden Arabern die Möglichkeit, sich dem Iran wieder anzunähern. Zeitlich vielleicht zufällig, aber passgerecht kommt nun der Vorschlag von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad auf der Tagung des Golf-Kooperationsrates (GCC) in Katars Hauptstadt Doha, ein Abkommen über die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit abzuschließen. Der Iran ist nicht Mitglied des GCC, sein Staatschef nimmt zum ersten Mal an einer Tagung der Organisation teil. Dem GCC gehören neben dem Gastgeberland, Bahrein, Kuwait, der Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate an.

NIE ist eine Klappe, mit der eine ganze Reihe von Fliegen geschlagen worden sind. Auch wenn aus dem Weißen Haus der Ruf ertönt, der Druck auf Teheran dürfe nicht nachlassen: die Luft ist 'raus. Die USA haben Angst vor der eigenen Courage bekommen. Ein "Militärschlag" gegen die Atomanlagen des Iran ist unwahrscheinlicher geworden. Man kann es auch anders sagen: Die Schlacht um die iranischen Bodenschätze wird künftig wieder mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt.

Quelle: ntv.de

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