Kommentare

Baby-Rentnerinnen und Callgirls Ein schönes Land, miserabel regiert

Mit einem Generalstreik demonstrieren die Italiener ihren Unmut.

Mit einem Generalstreik demonstrieren die Italiener ihren Unmut.

(Foto: dpa)

Die Italiener sind verzweifelt. Berlusconis geplante Haushaltssanierung ist simpel: Wer schon zahlt, soll noch mehr zahlen. Und wer heute nicht zahlt, wird wieder einmal verschont. Rund ein Fünftel aller Einkommen geht an der Steuer vorbei. Und die Politikerkaste hat keinerlei Interesse daran, Privilegien zu kappen.

Karneval in Italien: Eine Bunga-Bunga-Party in Putignano.

Karneval in Italien: Eine Bunga-Bunga-Party in Putignano.

(Foto: dpa)

Wo er recht hat, hat er recht, Günther Oettinger, deutscher EU-Kommissar. "Italien wird miserabel regiert", stellte er fest und schob dann noch einmal nach; die römische Regierung habe die EZB sogar "reingelegt", indem sie ein hartes Sparpaket versprochen und so zu Stützungskäufen für italienische Schuldtitel verleitet habe, dann aber nicht gehandelt. Mit dem Urteil Oettingers dürften heute etwa drei Viertel aller Italiener einverstanden sein.

Wirklich und wahrhaftig, die , weil die Kosten der Haushaltssanierung wieder einmal den Gehaltsempfängern auferlegt werden. Wer schon zahlt, soll auch noch mehr zahlen. Und wer heute nicht zahlt, wird wieder einmal verschont. Rund ein Fünftel aller Einkommen Italiens geht an der Steuer vorbei. Die sogenannte Reichensteuer für Personen mit mehr als 300.000 Euro erbringt ab dem Jahre 2012 ein jährliches Steuerplus von geschätzt 24 Millionen Euro. Eine Placebosteuer, nichts weiter. Dass Juweliere in Italien laut Steuererklärung weniger als die Hälfte eines Schulhausmeisters verdienen, das glaubt auch in Italien niemand. Dass der Staat jährlich 92 Milliarden Euro Mehrwertsteuer kassiert, aber rund 42 Milliarden nicht, weil sie hinterzogen wird: Das sagen die Steuerfahnder ganz offiziell.

Italiens Politiker sind die größten Nutznießer von Privilegien.

Italiens Politiker sind die größten Nutznießer von Privilegien.

(Foto: dpa)

Damit nicht genug. Dass man bis vor wenigen Jahren als Staatsangestellter in Italien nach 19 Beitragsjahren auf Rente gehen konnte und dass dieser Spaß die Rentenanstalt Italiens heute jährlich 5 Milliarden Euro kostet, dass die Ehefrau des Liga-Nord Chefs Umberto Bossi eine der glücklichen "Baby-Rentnerinnen" ist, wie man diese Kategorie nennt, ist ein Skandal, den keiner wagt anzupacken: Es betrifft schließlich eine halbe Million Wähler.

Politiker sind größte Nutznießer

Mit welchem Recht sollte auch die die Privilegien anderer kappen? Sind sie selber doch die größten Nutznießer. Fast 1000 nationale Parlamentarier bei 60 Millionen Einwohnern - 23.000 Euro monatlich bekommt im Schnitt jeder von ihnen als Grundgehalt, Tagegeld und Bürozuschuss. Wer abgewählt wird, findet sofort ein anderes warmes Plätzchen. Diese Ex-Parlamentarier kosten den Steuerzahler geschätzt weitere 6 Milliarden Euro pro Jahr, denn sie leiten Institute, die keiner braucht und die nichts produzieren, fahren Dienstwagen, reisen viel umher und im besten Falle geben sie keine Interviews oder halten Reden, über die das regierungskontrollierte Staatsfernsehen dann auch noch berichten muss. Die Politikerkaste ist in den Jahren immer weiter gewachsen, auf allen Ebenen.

Hierfür ist Geld da: das neue Juventus-Stadion in Turin.

Hierfür ist Geld da: das neue Juventus-Stadion in Turin.

(Foto: dpa)

Nun sollen die Provinzen abgeschafft werden, mit einer vorgeblichen Ersparnis von 5 Milliarden Euro pro Jahr. Sicher kann man die unzähligen Präsidenten und Abgeordneten abschaffen, die Gehälter bekommen wie deutsche Landesminister, aber die Staatsangestellten dort sind unkündbar. So hat sich unterhalb der Kasten der Superprivilegierten eine breite Schicht herausgebildet, geschätzt etwa 650.000 Menschen samt Angehörigen, die einzig und allein von der Politik leben. Nur so erklärt sich, dass auch die Oppositionspartei PD nun im Parlament zurückschreckte, als es um die Abschaffung des Unterwaldes der Provinzen ging. Ein System, das heute am Ende ist, weil unbezahlbar geworden.

Natürlich ist Italien nicht Griechenland. Nach Deutschland hat Italien die zweitgrößte Maschinenbauindustrie Europas, hat die Subprime-Krise exzellent überstanden, weil ein gewisser Mario Draghi den italienischen Bankern verboten hat, absurde Titel zu kaufen, wie es deutsche Staatsbanker reihenweise getan haben. Es ist aber auch ein Land, welches tiefgreifend gespalten ist. Vier Regionen Norditaliens zahlen drei Viertel aller Steuern, die Südhälfte Italiens ist schlimmer dran als Tunesien. Das Wachstumspotenzial ist riesig, müsste stimuliert werden.

Das Callgirl Patrizia D’Addario sorgt in Italien für Aufregung.

Das Callgirl Patrizia D’Addario sorgt in Italien für Aufregung.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Doch was macht Italiens Regierungschef ? Er berät sich mit Valter Lavitola, einem römischen Journalisten, wie man die neuesten Skandalnachrichten über Berlusconis Sex-Nächte am besten unterm Teppich halten kann. Um dem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen: Es geht wieder einmal um das Callgirl Patrizia D’Addario und den Kreis williger Damen aus Baris feiner Gesesellschaft, die offenkundig aus freien Stücken und ohne Bezahlung nach Rom kamen. Das interessiert Berlusconi, nicht sein Land. Recht hat der Günther Oettinger, leider.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen