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Zwischenruf Europa: Vision oder Basar?

Angela Merkel (l) diskutiert mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über die Griechenland-Hilfe.

Angela Merkel (l) diskutiert mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über die Griechenland-Hilfe.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mit dem Hilfepaket für Griechenland zieht ein hysterischer Nationalismus in Europa ein, den wir eigentlich überwunden glaubten. Merkel verteidigt die Hilfe und droht Sündern.

"Europa ist kein Ort, sondern eine Idee", meint der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy. Dieser Tage gleicht Europa eher einem Basar. Auslöser ist ausgerechnet jenes Griechenland, das mit der von Zeus ent- und verführten phönizischen Prinzessin Namenspatron des Kontinents ist. Die vielbeschworene Vorstellung eines von Andorra bis Zypern geeinten Europa, das nur noch Europäer und keine Nationen kennt, macht einem hysterischen Nationalismus Platz. Den glaubten wir eigentlich überwunden.

Die Zögerlichkeit, mit der Deutschland auf die Hilferufe antwortet, ist der Angst der schwarz-gelben Koalition vor der kleinen Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai geschuldet. Nun, da die Kosten zu explodieren drohen, wird das Paket durch das Parlament gepeitscht. Angela Merkel, im Ausland gern als "erste Europäerin" gefeiert, wurde dort zur Walküre, die den Staatsschatz bewacht. Aus Österreich und Italien kam öffentliche Missbilligung auf Regierungsebene. Wenn die Kanzlerin im Bundestag Euro-Europa nun am Scheideweg sieht, präsentiert sich nicht etwa einen Plan einer gemeinsamen Steuer-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, gar mit einem Sturm auf die Bastille der Heuschrecken und Ratingagenturen.

Widerstand gegen Neuverhandlung

Nein, potentiellen Sündern droht sie mit dem Verlust des Stimmrechts. Bereits jetzt sind aus den Regierungsparteien Stimmen zu vernehmen, die einen Ausschluss von Hilfsbedürftigen fordern. Eine euroländische Mehrheit wird sich für das Eine wie das Andere kaum finden. Gegen die von Frau Merkel angemahnte Neuverhandlung des Eurostabilitätsvertrages regt sich an der Spitze der Europäischen Kommission bereits Widerstand.

In anderen EU-Staaten geht es ähnlich zu wie hierzulande. Immer steht die Furcht dahinter, von den eigenen Wählern abgestraft zu werden. Auch der slowakischen Regierung sitzt das Hemd näher als der Rock: Bratislava verweigert seine Beteiligung am europäischen Rettungsfonds. In der Slowakei finden im Juni Parlamentswahlen statt. Ob und wie Griechenland diese Krise durchsteht, ist offen. Ob und wie sie auf andere Länder übergreift auch. Die Vision eines geeinten Europa jedenfalls ist wieder in weite Ferne gerückt. Vielleicht freuen wir uns, wenn Europa am Ende wenigstens ein Marktplatz bleibt.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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