EU-Finanzkrise Europas breite Brust
15.10.2008, 14:17 UhrAngela Merkel ist immer noch Europas unumstrittene Leitwölfin. Doch ihr Image als Vorzeigeeuropäerin hat in den letzten Tagen einige Kratzer bekommen. Von der Finanzkrise ließ sich die Kanzlerin auf dem falschen Fuß erwischen. Nicht erst auf dem Pariser Gipfel der Eurogruppe am 12. Oktober, sondern schon eine Woche zuvor hätte den Kapitalmärkten der Eindruck vermittelt werden können, dass ein partnerschaftliches Krisenmanagement den Absturz des europäischen Bankenwesens zu verhindern weiß.
Auf dem G4-Treffen im Elyse-Palast am 4. Oktober jedoch spielte ausgerechnet eine vergrätzte Merkel den Part des Bremsers. Den umstrittenen Ansatz von Nicolas Sarkozy, in aller Eile einen europäischen Hilfsfonds für die wackelnden Banken zu organisieren, wertete sie als Affront. Prompt scheiterte der erste Versuch, sich auf europäischer Ebene auf ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen. Und mit der Einschätzung, dass Merkels Mauern die Börsen weltweit 20 Prozentpunkte kostete, stehen französische Diplomaten keineswegs alleine dar.
Sarkozy punktet
"Speedy Sarko" ließ sich nicht entmutigen und organisierte einfach den nächsten Gipfel. Auf den dabei verabschiedeten Aktionsplan der 15 Euro-Staaten hatte er sich Tags zuvor mit der Kanzlerin auf einem bilateralen Treffen in de Gaulles Heimatort Colombey-les-deux-Eglises verständigt. Der Rettungspakt mag ein deutsch-französischer Erfolg sein, weil Merkel und Sarkozy sich endlich zusammenraufen konnten. Aber er ist vor allem ein Sieg des Franzosen und seiner im Angesicht der Krise auf einmal mehrheitsfähigen Überzeugung des Primats der Politik über die Wirtschaft.
Eine andere Überzeugung Sarkozys lautet: Europa kann, wenn es nur will! Mittelmeer-Union, Georgien-Konflikt, Finanzkrise - noch nie trat ein EU-Ratspräsident mit so breiter Brust auf. Es stimmt, dass der quirlige Franzose mit seiner lautstarken Art und seinem Hyperaktivismus nicht nur der Kanzlerin auf die Nerven geht. Aber es stimmt eben auch, dass er einer vorwiegend mit sich selbst beschäftigten und durch die Geburtswehen des Lissabon-Vertrags gelähmten EU schärfere Konturen verleiht. Ohne Merkel geht nach wie vor gar nichts, das weiß man in Brüssel. Doch ebenso weiß man dort, wem der neue Anflug europäischen Selbstvertrauens zu verdanken ist.
Quelle: ntv.de