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Alles ist möglich Flamen wählen Belgien ab

Bart De Wever als Totengräber Belgiens, keine ganz unmögliche Vorstellung mehr.

Bart De Wever als Totengräber Belgiens, keine ganz unmögliche Vorstellung mehr.

(Foto: AP)

Das Wahlergebnis in Belgien bringt den Mann in die Verantwortung, der das Land, wie wir es heute kennen, langsam "verdunsten" lassen will. Am Ende dieser Evolution des Bart De Wever könnte eine neue europäische Landkarte stehen.

Wir schreiben das Jahr 2020: Der ehemalige belgische Ministerpräsident und jetzige Regierungschef der Republik Flandern, Bart De Wever, trifft in Paris mit der französischen Staatspräsidentin Martine Aubry zusammen. Es geht bei dem Gespräch um die letzten Schritte der Abwicklung des Königreichs Belgien. Frankreich unterstützt die Aufnahme Flanderns in UNO, EU und Euro-Zone. Das Einverständnis der USA zur Aufnahme des flämischen Staates in die NATO ist bereits eingeholt worden. Flandern erklärt sich einverstanden, dass die Wallonie in Frankreich eingegliedert wird. Der nunmehr 86-jährige belgische König Albert II. dankt ab und zieht sich ins Privatleben zurück. Belgien und seine konstitutionelle Monarchie sind Geschichte.

Gäbe es die Wahlpflicht nicht, würden viele Belgier wahrscheinlich nicht mehr wählen.

Gäbe es die Wahlpflicht nicht, würden viele Belgier wahrscheinlich nicht mehr wählen.

(Foto: dpa)

Streitpunkt ist nach wie vor der künftige Status von Brüssel. Frankreich und Flandern sind nach Konsultationen mit Deutschland und Großbritannien dafür, dass Brüssel zur europäischen Hauptstadt mit europäischer Verwaltung erklärt wird. Antwerpen wird neue flämische Hauptstadt; Charleroi wird Verwaltungssitz des französischen Departements Wallonie. Die Bewohner des deutschsprachigen Teils dürfen - wie 1955 die Saarländer – entscheiden, ob sie zu Frankreich oder zur Bundesrepublik Deutschland gehören wollen.

So unglaublich sich das liest - diese Situation ist seit der jüngsten Parlamentswahl in Belgien nicht mehr ganz unwahrscheinlich. Der Sieg von De Wevers Neu-Flämischer Allianz (N-VA) in Flandern eröffnet die Möglichkeit, dass das Unglaubliche eintritt. De Wever will die Konföderation, das heißt, zentrale politische Befugnisse für die Regionen Flandern, Wallonie und Brüssel. Das bedeutet eine weitere Aushöhlung des ohnehin bereits schwachen belgischen Zentralstaats.

Frankophoner Regierungschef?

Der 39-Jährige ist bei der Wahl seiner Mittel sehr flexibel. Er würde sogar auf das – nach ungeschriebenem Gesetz – ihm zustehende Amt des Ministerpräsidenten verzichten. "Die flämischen Politiker, die diesen Posten akzeptiert haben, haben dabei ihr Programm geopfert. Ich bin nicht bereit, dies zu tun", sagte De Wever im Wahlkampf. Nicht umsonst hat er die N-VA aus dem "Kartell" mit den flämischen Christdemokraten herausgelöst. Die Partei des gescheiterten Ministerpräsidenten Yves Leterme ging De Wever nicht weit genug.

Leterme ist am Sprachenstreit gescheitert

Leterme ist am Sprachenstreit gescheitert

(Foto: dpa)

Bei einem Verzicht De Wevers könnte es erstmals seit Jahrzehnten mit dem wallonischen Sozialisten Elio Di Rupo oder dem Liberalen Didier Reynders einen frankophonen Regierungschef geben. Dabei wären harte Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Di Rupos Partei – sie siegte in der Wallonie vor den Liberalen – pocht auf eine Föderation unter belgischem Dach. Gleiches gilt für Reynders und seine Partei. Neben der nationalen Einheit sind dabei allerdings auch knallharte ökonomische Interessen maßgeblich. Die Wallonie ist wirtschaftlich deutlich schwächer als der flämische Landesteil und profitiert von den Transferzahlungen aus dem Norden. Bei den Flamen verfestigte sich dagegen seit Jahren der Eindruck, sie müssten ihre Landsleute im Süden mit durchfüttern. Allerdings ist es ein Verdienst von De Wever, dem rechtsextremen Vlaams Belang, der diese Klaviatur bis zum Exzess spielte, die Wähler abspenstig gemacht zu haben.

Daneben ist die wirtschaftliche Lage Belgiens angespannt. Das Land hat mit massiven Strukturproblemen zu kämpfen – und davon bleibt auch Flandern nicht verschont. So macht zum Beispiel das Opel-Werk in Antwerpen dicht. Zudem ist das Königreich hoch verschuldet und steht – wenn auch nicht vergleichbar mit Griechenland – an den Kapitalmärkten unter Druck. Eine starke und handlungsfähige Regierung ist dringend vonnöten; nur, sie wird es nach dieser Wahl nicht geben.

Pragmatische Franzosen

Dazu kommt, dass das politisch zerrissene Belgien am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt – in einer Zeit, in der die Euro-Krise noch nicht ausgestanden ist. Das wird allerdings in Brüssel ziemlich gelassen gesehen. Die Ministerien seien besetzt; Belgien sei so handlungsfähig, heißt es in Brüssel. Die europäischen Staats- und Regierungschefs werden dies ganz bestimmt anders sehen; allerdings können sie an der momentanen Situation in Belgien auch nichts ändern. Business as usual ist angesagt.

Geteiltes Belgien.

Geteiltes Belgien.

Belgiens Zukunft ist nach dieser Wahl offen. Im Nachbarstaat Frankreich stellt man sich auf das Unglaubliche ein. In einer Umfrage der Zeitung "France Soir" sind nunmehr 66 Prozent der Befragten für eine Eingliederung der Wallonie in Frankreich, sollte Belgien auseinanderfallen. Solche Zahlen werden die Sorgenfalten bei Staatschef Nicolas Sarkozy größer werden lassen. Er hat nämlich schon genug wirtschaftliche Probleme; ein weiteres Sorgenkind kann Frankreich nicht gebrauchen.

Die Zukunft Belgiens hängt von den Belgiern selbst ab. Von den verantwortlichen Politikern in beiden großen Landesteilen ist ein Augenmaß gefragt. Die EU – sie ist mit ihrem Sitz in Brüssel hautnah dabei - kann und muss diesen Prozess moderieren.

Ist Belgien noch zu retten? Keiner weiß es. Es ist möglich, dass erstmals seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 auch im Westen des Kontinents die Landkarte verändert werden muss.

Quelle: ntv.de

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