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Zwischenruf Fünf vor zwölf

Der Konflikt zwischen Israel und der Türkei spitzt sich weiter zu. Unmittelbarer Anlass ist der Überfall auf die Gaza-Flotte. Doch es gibt eine tiefere Ursache.

Der türkische Ministerpräsident Erdogan verschiebt die Akzente in der Außenpolitik.

Der türkische Ministerpräsident Erdogan verschiebt die Akzente in der Außenpolitik.

(Foto: AP)

Mit dem türkischen für israelische Militärflugzeuge hat sich der Konflikt zwischen beiden Staaten abermals verschärft. Der Schritt kam nicht unerwartet: Nachdem die Regierung von Ministerpräsident Tayip Erdogan kürzlich zwei israelischen Militärmaschinen den Eintritt in den Luftraum der Türkei verwehrt hatte, drohte das Land damit, das Verbot auf alle militärischen Flugzeuge auszudehnen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch Israels zivile Luftfahrt künftig keine Überfluggenehmigung mehr erhält.

Unmittelbarer Anlass der Zuspitzung ist der Überfall israelischer Soldaten auf Schiffe einer türkischen Hilfsorganisation vor der Küste des Gazastreifens, bei dem neun Türken getötet worden waren. Die tiefere Ursache des Konflikts liegt in einer Akzentverschiebung der türkischen Außenpolitik: Weg von der strikten Westorientierung – wozu auch die enge Zusammenarbeit mit Israel gehörte – und hin zu einer stärkeren Anlehnung an die arabischen Staaten und die sogenannten Schwellenländer.

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu und der israelische Minister für Industrie und Landwirtschaft Ben Eliezer hatten bei einem Geheimgespräch in Brüssel versucht, eine Eskalation zu verhindern. Bezeichnenderweise war Eliezer Davutoglus Gesprächspartner und nicht – wie es protokollarisch korrekt gewesen wäre – Außenamtschef Avigdor Lieberman. Der ist für seine Kompromisslosigkeit bekannt, der Falke Eliezer erscheint im Vergleich zum Chefdiplomaten  aber eher gemäßigt. Dennoch war auch Eliezer nicht bereit, auf die Bedingungen der Türkei für eine Normalisierung der Beziehungen einzugehen. Dazu gehört zuvorderst eine israelische Entschuldigung für den Angriff und die vollständige Aufhebung der Blockade des Gaza-Streifens. Das Gespräch soll auf Druck des Weißen Hauses zustande gekommen sein.

Wenn nun Ankara die diplomatischen Beziehungen zu Jerusalem abbricht, wäre dies eine weitere gefährliche Eskalation. Anstatt weiter zu vermitteln, verlangen die USA von ihrem langjährigen strategischen Eckpfeiler in der Region ein völlig überflüssiges Bekenntnis zur NATO: Die Türkei gehört der Allianz seit 1952 an! Obamas Nah- und Mittelostpolitik befindet sich in einer Sackgasse, seine Kairoer Rede an die muslimische Welt ist kaum mehr als eine nette Erinnerung. Das Verhältnis zu Israel ist ambivalent geworden. Ob die Europäische Union als Ganzes zwischen der Türkei und Israel moderieren kann, ist fraglich. Berlin aber sollte sich rasch zu einer Initiative entschließen, möglichst im Einklang mit London und Paris. Noch hat die Uhr nicht zwölf geschlagen.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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