Der Westen zeigt sich einigGute Show, aber jetzt braucht Putin Druck
Ein Kommentar von Frauke Niemeyer
Die zwei Tage von Berlin waren gut. Aber Putin interessiert das nicht. Wollen die westlichen Länder wirklich etwas erreichen, müssen sie jetzt Druck machen.
Schon klar, es hätte in Berlin deutlich schlechter laufen können. Da war viel Luft nach unten - die erste Verhandlungsrunde am Sonntag zwischen Wolodymyr Selenskyj, Jared Kushner und Steve Witkoff hätte nach einer Stunde abgebrochen werden können, wegen unüberbrückbarer Gegensätze. Die zweite Runde am Montagmorgen hätten Donald Trumps Schwiegersohn und sein Sondergesandter absagen und nach Hause fliegen können. Mit einem Schlag wäre klar geworden, in welchem Ausmaß die USA in der transatlantischen Partnerschaft nicht mehr an Bord sind.
Alles nicht passiert. Stattdessen fünf Stunden "produktive" Gespräche (Bilanz von Selenskyj) zwischen den vom US-Präsidenten gesandten Amerikanern und dem Präsidenten der Ukraine. Am nächsten Morgen gleich noch mal. Dann machten die Gesandten womöglich eine Stadtrundfahrt oder schipperten im Sonnenschein auf der Spree - wer weiß das schon, jedenfalls waren sie am Abend erneut am Start, als eine wirklich beachtliche Riege europäischer Staats- und Regierungschefs sowie weiterer Amtsinhaberinnen und -inhaber im Kanzleramt am Bankett Platz nahm: Macron, Starmer, Meloni, Tusk, von der Leyen, Rutte - um nur einige Namen zu nennen.
Gemeinsam brachten die Europäer eine durchaus beherzte Erklärung an die Öffentlichkeit, die der Ukraine Truppen zur Absicherung einer möglichen Waffenruhe verspricht. Details müssen folgen. In der derzeitigen Gesamtlage darf man konstatieren: Da hat der deutsche Kanzler mit sauerländischer Dickköpfigkeit einiges bewegt im Sinne der für ihre und Europas Freiheit kämpfenden Ukraine. Und eine starke Rede gehalten, die Wladimir Putins Eroberungsfeldzug, sein Ansinnen, mindestens die ehemaligen Ostblockländer wieder unter die russische Knute zu bringen, und seine Schäbigkeit mit Blick auf das tägliche Morden an Zivilisten, klar benennt.
Starke Worte, aber eben auch nur das - Worte. Und natürlich darf man nach den Verhandlungen von Berlin ein wenig mehr Hoffnung für die Ukraine haben als vorher. Denn immerhin ist erreicht worden, dass in kommenden Verhandlungen die westliche Seite eine Reihe von Forderungen und Angeboten vertreten kann, die einigermaßen homogen klingen, als sei das nahezu mit einer Stimme gesprochen.
Kratzt das alles Putin? Ganz sicher nicht
Die Frage ist: Wird das in irgendeiner Weise den skrupellosen, machthungrigen, jeden Tag über rund 1000 Leichen in der eigenen Truppe gehenden Wladimir Putin beeindrucken? Die Antwort ist: Ganz sicher nicht.
Falls Donald Trump sich von seinen beiden Vertretern überzeugen lässt, die inhaltlich in Berlin ausgearbeiteten Punkte dem Kreml vorzuschlagen, wird die Moskauer Antwort irgendwas sein, was die Textbausteine "grundsätzliche Bereitschaft zum Frieden", "Europa will keinen Frieden", "Bedingungen leider unannehmbar" und "Ursachen des Konflikts müssen gelöst werden" enthält. Das war's.
Klar kann man mit einem Massenmörder und Kriegsverbrecher verhandeln. Und das sollte man auch unbeirrt tun. Aber Chancen darauf, etwas zu erreichen, hat nur, wer auf Worte auch Taten folgen lässt.
Chancen auf Erfolg hat derjenige, der ein Angebot macht und zugleich signalisiert: Das hier ist eine gute Gelegenheit für dich, den Konflikt jetzt zu beenden. Nimm sie besser wahr im eigenen Interesse, bevor du von uns - im anderen Fall - richtig eins aufs Dach kriegst.
Anders gesagt: Die zwei Tage von Berlin wären gut und Anlass zur Hoffnung, wenn die anschließenden Handlungsschritte wie folgt aussähen:
Am Donnerstag beschließt der Rat der Europäischen Union, das eingefrorene russische Staatsvermögen über eine Kreditaufnahme für die Ukraine nutzbar zu machen. Das sichert in etwa zwei Jahre ausreichenden Nachschub an Waffen und Munition, Geld für Entwicklung vor allem bei der Drohnentechnologie, Instandhaltung der Kriegslogistik sowie die Möglichkeit, die Frontkämpfer angemessen zu bezahlen. Eine solche Entscheidung würde Russland, das war in den letzten Tagen zu beobachten, nervös machen.
Die Europäischen Staaten verpflichten sich, jeglichen Handel mit Russland komplett einzustellen. Eine Umgehung der Sanktionen etwa mittels der russischen Schattenflotte wird hart bestraft. Weitere schmerzhafte Sanktionen werden entwickelt und in Kraft gesetzt.
Die europäischen Unterstützer kaufen den USA Tomahawk-Marschflugkörper für die Ukraine ab und legen noch einige Dutzend Taurus aus Deutschland obendrauf. Das eröffnet dem ukrainischen Generalstab die Möglichkeit, mit den anspruchsvollen Luftschlägen gegen russische Gas- und Öl-Infrastruktur auch wirklich schweren Schaden anzurichten. Denn fünf Drohneneinschläge können eine Raffinerie nicht zum Stillstand bringen. Dieselbe Menge an Tomahawks schafft das durchaus und kann darum Moskau nachhaltig schwächen.
Wäre dieses Maßnahmenpaket eingetütet, würde Putin merken, dass dieser vier Jahre währende Krieg ihn bald noch mehr Geld und Kraft kosten wird - anstatt nur Menschenleben, die ihm komplett egal sind. Und dann wäre womöglich endlich Musik drin, wenn Diplomatie zum Zuge kommt. Dann könnte es sich tatsächlich lohnen, mit einer westlichen Stimme die Forderungen und Angebote vorzutragen, die in den vergangenen zwei Tagen ausgearbeitet wurden.
Putin muss nur länger durchhalten
Bislang passiert das aber nicht, und es sieht auch nicht danach aus, als würde es in absehbarer Zeit passieren. Stattdessen wird es wohl keine begleitenden Maßnahmen geben, wenn dem Kreml die neuen Berliner Punkte unterbreitet werden. Warum sollte Putin auf Vorschläge reagieren, die ihm Kompromisse abverlangen? Er kann doch ohne Kompromisse alles haben, wenn er den Abnutzungskrieg gegen Kiew nur lange genug durchhält.
Waffenstillstand noch vor Weihnachten - das wäre eine tolle Nachricht. Und Friedrich Merz hat recht, wenn er sagt, das liegt jetzt nur an Russland. Aber Putin wird einer Waffenruhe nur zustimmen, wenn ihm dafür die Ukraine auf dem Tablett serviert wird. Oder aber, wenn man ihn mit ausreichend Druck dazu zwingt. In diesem Sinne sind die folgenden Tage entscheidender als die zurückliegenden. Die zwei Tagen von Berlin haben den Europäern die Möglichkeit geschaffen, im Sinne einer Friedenslösung kraftvoll zu agieren. Dann also bitte, am Donnerstag geht’s los.