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Keine Durchfahrt nach Gaza Israels Marine stoppt Hilfsschiff

Mit hysterischen Schreien berichtet Salam Hader, Reporterin des arabischen TV-Senders Al Dschesira, von Bord der "Tali", einem Hilfsschiff amerikanischer und palästinensischer Menschenrechtsorganisationen. Am Dienstag hatte das mit 60 Tonnen Nahrungsmitteln, Spielzeug, Büchern und Medikamenten beladene zypriotische Schiff von der nordlibanesischen Stadt Tripoli aus Kurs auf den Hafen von Gaza genommen. Demonstrativ sollte die israelische Blockade des Gazastreifens umgangen werden. "Die Israelis beschießen unser Schiff. Soldaten haben unser Schiff geentert und die Mannschaft verprügelt", schrie die Reporterin ins Mikrofon. Dann war die Funkverbindung unterbrochen. Die israelischen Soldaten hätten die Funkgeräte zerstört, behauptete der Fernsehsender aus Qatar, das vor wenigen Tagen seine diplomatischen Beziehungen mit Israel aus Protest gegen den Gazakrieg abgebrochen hatte.

Zunächst war die Reporterin die einzige Quelle zu den Vorgängen um das Schiff, das offenbar 32 Kilometer vor der Küste des Gazastreifens in internationalen Gewässern von der israelischen Marine abgefangen worden ist. Während Hubschrauber über der Tali und fünf Kriegsschiffen kreisten, wurde der Kapitän aufgefordert, seinen Kurs zu ändern und in Richtung El Arisch in Ägypten abzudrehen. Angeblich drohte die Marine, das Schiff zu versenken, falls es den Aufforderungen nicht Folge leiste. Der Kapitän sei dennoch fest entschlossen, die Blockade zu durchbrechen und nach Gaza zu gelangen. Später hieß es, dass die Kriegsschiffe die Tali "an ein unbekanntes Ziel" geleiteten.

Die zypriotischen Behörden hatten vor der Abfahrt des Schiffes die Ladung geprüft, um sicher zu stellen, dass es keine Waffen für die Hamas-Organisation mitführe. In Tripoli schlossen sich nach langen Verhandlungen mit dem libanesischen Innenminister acht weitere Menschenrechtsaktivisten dem in "Bruderschaft" umgetauften Schiff an - unter ihnen der 84-jährige ehemalige Erzbischof der griechisch-katholischen Gemeinde in Jerusalem, Hilarion Capucci.

Wegen Waffenschmuggel verurteilt

Capucci war in den siebziger Jahren Erzbischof der Melkiten von Jerusalem. 1974 entdeckte der israelische Geheimdienst versteckte Waffen und Sprengstoff in seinem Fahrzeug. Als Kirchenoberhaupt fuhr er in einem Wagen mit diplomatischem Kennzeichen. So fühlte er sich sicher, Waffen für die PLO für Terroranschläge in Israel schmuggeln zu können. Capucci dementierte zunächst, von dem Waffenschmuggel in seinem Fahrzeug gewusst zu haben. Doch ein handschriftlicher Zettel mit der Telefonnummer des PLO-Aktivisten, für den die Waffen bestimmt waren, überführten ihn. Capucci geriet in Verdacht, weil er über fünfzig Mal pro Jahr in seinem Auto zwischen Libanon, Jordanien und dem Westjordanland verkehrte. Er galt als das wichtigste Bindeglied zwischen der damaligen PLO-Zentrale in Beirut und Terroristen in den besetzten Gebieten. Der Erzbischof wurde von einem israelischen Gericht wegen Beihilfe zum Terror zu einer 12-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Der Vatikan übte Druck auf Israel aus. 1977 wurde Capucci aus der Haft entlassen und des Landes verwiesen. Der Vatikan verpflichtete sich gegenüber Israel "hoch und heilig", dass Capucci nicht nach Israel zurückkehre und sich politischer Aktivitäten gegen Israel enthalte. Gleichwohl blieb der ehemalige Erzbischof politisch aktiv. Israelische Proteste nützten nicht viel.

Immer wieder Überfahrtsversuche nach Gaza

Am Mittag bestätigte der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak den Vorfall auf hoher See. Das "kleine Motorboot", so Barak, habe zunächst nach Warnungen der Marine Kurs auf den ägyptischen Hafen El Arisch genommen. "Doch dann hat das Schiff gedreht und versucht, erneut in ägyptischen Gewässern nach Gaza zu schleichen", so der Minister. Daraufhin habe die Marine das Schiff beschossen, Soldaten hätten es geentert und gezwungen zum israelischen Hafen von Aschdod zu fahren.

Im vergangenen Jahr hatten immer wieder Aktivisten der linksgerichteten Organisation "Befreit Gaza" versucht, mit Jachten von Zypern aus den Hafen von Gaza zu erreichen. Wohl um den propagandistischen Effekt zu mindern, ließ die israelische Marine mehrere Boote passieren. Mitgefahren waren jeweils Journalisten, Holocaustüberlebende, Ärzte, Nobelpreisträger und sogar die Schwägerin des ehemaligen britischen Premiers Tony Blair. Auch israelische Linksaktivisten reisten so nach Gaza und wurden festgenommen, als sie auf dem Landweg nach Israel zurückkehrten. Die bekannte israelische Journalistin Amira Hass wurde mit lebensbedrohenden Warnungen ihrer Hamas-Aufpasser aus dem Gazastreifen vertrieben. In jüngster Zeit hat Israel Schiffen aus Iran und Libyen die Durchfahrt nach Gaza verweigert und gezwungen, abzudrehen.

Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 70er Jahre aus der Region immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.

Quelle: ntv.de

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