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Zwischenruf Italien läutet die Alarmglocken

Nach der Wahl ist vor der Wahl - vor allem in Italien.

Nach der Wahl ist vor der Wahl - vor allem in Italien.

(Foto: AP/dpa)

Trotz des hauchdünnen Sieges von Mitte-Links droht Italien unregierbar zu werden. Neuwahlen sind wahrscheinlich. Es sollte den Befürwortern der Politik des strikten Sparens in Brüssel und Berlin zu denken geben, dass dies zum Wiedererstarken eines Scharlatans und zum Aufstieg eines Politkaspers geführt hat.

Italien geht turbulenten Zeiten entgegen. Zwar gelang dem Mitte-Links-Bündnis um den Ex-Kommunisten und heutigen Sozialdemokraten Pier Luigi Bersani ein Sieg in beiden Kammern des Parlaments. Doch der, so die angesehene Zeitung "La Repubblica", gleicht einem Fotofinish. Bersani fehlt es an Bündnispartnern.

Newcomer Beppe Grillo hat eine Zusammenarbeit mit Bersani ausgeschlossen, Ex-Premier Silvio Berlusconi will darüber "nachdenken" - es wäre ein vergiftetes Geschenk. Schließlich gibt es die berechtigte Hoffnung auf einen Zerfall der Allianz um Berlusconi. Nur reicht das Gewicht seiner Bündnispartner nicht aus, um Bersani zu einer Mehrheit zu verhelfen. Am Ende dürfte es Neuwahlen geben.

Es muss beunruhigen, dass ein Berlusconi nach all dem Schmutz, den er politisch, wirtschaftlich und moralisch zu verantworten hat, auf ein so hohes Ergebnis kommt. Ganz offensichtlich sind seine überwiegend unrealistischen Wahlversprechen erneut auf fruchtbaren Boden gefallen. Zudem fruchteten sein aufgeregter Zeigefinger gegen das "Diktat von Merkel", sein gegen die Sparpolitik der EU gerichteter Diskurs und dessen Umsetzung durch den amtierenden Premier Mario Monti. Es sollte EU und Internationalem Währungsfonds zu denken geben, dass ihr rigider Sparkurs in Italien mit Grillo und Berlusconi zwei Politiker stark - respektive wieder stark - gemacht hat, deren wichtigste Botschaft darin besteht, gegen den Euro und Brüssel zu wettern.

Das demokratische Bewusstsein eines beachtlichen Teils der italienischen Gesellschaft hat ernsthaften Schaden genommen durch die jahrelange Manipulation eines Scharlatans, dem es mit Hilfe einer fast durchgängigen Kontrolle der Medien gelang, Unmoral, Verbrechen, Antisemitismus, Sexismus und Faschismus hoffähig zu machen. Ein Politiker wie Berlusconi, der meint, die Judikative seines Landes wäre schlimmer als die Mafia, ist alles andere als ein Demokrat. Nebenbei: Der "Cavaliere" verdankt seinen ökonomischen Aufstieg keinem Geringeren als dem früheren sozialdemokratischen Premier Bettino Craxi. Die Liste "Riformisti Italiani", die sich auf den auf der Flucht vor der Justiz im tunesischen Exil Gestorbenen beruft, kam bei dieser Wahl auf knapp 5000 Stimmen. Es gereicht dem kümmerlichen Rest von Craxis einst großer Sozialistischer Partei zur Ehre, dass sie sich dem Lager von Bersani angeschlossen hat.

Auch die linke Liste "Sinistra, Ecologia, Libertà" des ex-kommunistischen Präsidenten der Region Apulien, Nichi Vendola, unterstützt Bersani. Die Reste der Kommunistischen Partei (PCI), die sich als solche bekennen, unterstützten mit anderen linken Gruppierungen die Liste der "Rivoluzione Civile" des sizilianischen Staatsanwalts Antonio Ingroia. Das Ergebnis: nicht nennenswert. Das zeigt, wie tief die Krise des über Jahrzehnte vorherrschenden Parteiensystems geht: Eine PCI, die sich einst mit dem - von wem? - ermordeten christdemokratischen Ministerpräsidenten Aldo Moro auf einen "historischen Kompromiss" über die Regierbarkeit Italiens einigen wollte, ist in der Schublade der Geschichte gelandet.

Wie tief die Systemkrise ist, zeigt auch das überaus gute Abschneiden der Fünf-Sterne-Bewegung des Kaspers Beppe Grillo. Das überrascht kaum: Immer mehr Menschen sind des herkömmlichen Politikbetriebs überdrüssig. Doch eine spaßige Protestpartei kann langfristig nicht als solche existieren. Grillo wird sich auf Dauer als ernstzunehmender Faktor nur etablieren, wenn er sein Blitzschleudern gegen "die Etablierten" aufgibt und sich konstruktiv einbringt. Ähnlich wie andernorts bei den Piraten sind Rangeleien zu erwarten, welche die Spaßtruppe auf längere Sicht zu einer Fußnote in der Krisengeschichte der italienischen Demokratie werden lassen können. Apropos Piraten: Der Ableger der Internetapostel auf dem Apennin kam auf wenig mehr als null Komma nix. Gut, dass die Voten für den früheren Faschisten Gianfranco Fini und die rassistischen Separatisten der Lega Nord eines Umberto Bossi unter Ulk verbucht werden können.

Der Urnengang vom Sonntag und Montag wurde als Schicksalswahl bezeichnet. Die Wahlbeteiligung sank um sechs Punkte auf rund 75 Prozent. Ein beträchtlicher Teil der italienischen Wähler ergibt sich offensichtlich in sein Schicksal. Da sollten bei allen demokratischen Kräften die Alarmglocken läuten.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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