Zwischenruf Keine Provinzposse
31.07.2008, 14:31 UhrDie Entscheidung der sozialdemokratischen Schiedskommission von NRW, Wolfgang Clement aus der Partei auszuschließen, ist keine Provinzposse, wie der Hanseat Klaus von Dohnanyi meint. Oder gar eine Rache des Bochumer Ortsvereins wegen persönlicher Animositäten. Der Spruch ist eine Richtungsentscheidung. Es geht um nicht mehr oder weniger als pro oder kontra die reine Hartz-IV-Lehre. Der frühere Düsseldorfer Ministerpräsident und damalige Bundeswirtschaftsminister war neben dem jetzigen nationalen Kassenwart Peer Steinbrück einer der Hauptverfechter des Umbaus des deutschen Sozial- und Arbeitsrechts. Sie standen Kanzler Gerhard Schröder zur Seite, als es darum ging, dem Sozialstaat ein neoliberales Korsett zu verpassen.
Clements scharfe Kritik an der hessischen SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti war weniger gegen deren Energiepolitik gerichtet. Ypsilanti gehörte zu den schärfsten Gegnern von Hartz IV und hatte sich vor allem durch die konsequente Rückbesinnung auf die Grundwerte ihrer Partei vom politischen Nobody zur Fast-Siegerin der Landtagswahlen hochgekämpft. Clement hat dazu beigetragen, einen Ganz-Sieg zu verhindern.
Zerreißprobe für die SPD
Der Fall Clement stellt die älteste und bis vor kurzem größte der deutschen Parteien vor eine schwere Belastungsprobe. Unterhalb des Parteivorstands sammeln sich bereits die Regimenter der Clement-Gegner und -Sympathisanten. Es gibt erste Austrittsdrohungen, sollte der einstige Sprecher von Willy Brandt ausgeschlossen werden.
Die Folgen von Hartz IV haben zum Abstieg von Schröder und zum Aufstieg von Oskar Lafontaine geführt. Wer in der SPD bedingungslos an Hartz IV festhält, kann nur dazu beitragen, dass die Partei noch weiter abstürzt. Sollte sich der wahrscheinliche Kanzlerkandidat der SPD, Frank-Walter Steinmeier, wie immer wieder gemunkelt wird, für ein Festhalten an Hartz IV aussprechen, dürfte er kaum Chancen haben.
Die Sozialdemokratie hat auf ihrem Hamburger Parteitag versucht, ein programmatisches Sicherheitsnetz zu spannen. Doch die Maschen des Netzes sind nicht dicht genug. Die Halbherzigkeit in der praktischen Bundespolitik trägt dazu bei, dass immer wieder Substanz hindurchfällt. Für Clement ist das in der Freien und Hansestadt beschlossene Programm übrigens eine "Phrasensammlung".
Scheideweg am Abgrund
Die Bochumer Entscheidung hat zweifellos auch landespolitische Bedeutung. Ypsilantis nordrhein-westfälische Kollegin Hannelore Kraft will beim Urnengang 2010 den christdemokratischen "Arbeiterführer" und Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers ablösen. Das dürfte sie mit einem funktionslosen, aber immer noch einflussreichen Parteirechten wie Clement kaum schaffen. Wenn sie dessen Parteiausschluss nun "bedauert", sich aber mit Hinweis auf das schwebende innerparteiliche Verfahren nicht weiter äußert, hält sie sich den Rücken frei. Noch zurückhaltender hat die Bundes-SPD reagiert. Ob Kurt Beck und andere Spitzengenossen dies bis zum Abschluss des Bundesschiedsverfahrens über Clement durchhalten können, ist fraglich.
In jedem Fall steht die SPD an einem Scheideweg. Wie eigentlich immer in der Zeit nach Bebel und dem alten Liebknecht. Nur dass der Scheideweg diesmal ganz nah am Rande des Abgrunds verläuft.
Quelle: ntv.de