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Zwischenruf Kooperation statt Revolution

Wen Jiabao besucht Deutschland.

Wen Jiabao besucht Deutschland.

(Foto: picture alliance / dpa)

In Berlin finden erstmals deutsch-chinesische Regierungskonsultationen statt. Damit werden die Beziehungen zwischen Berlin und Peking auf eine neue Stufe gehoben. Dabei sitzt auch der Bundesregierung das marktwirtschaftliche Hemd näher als der menschenrechtliche Rock. Selbst, wenn es nach außen hin anders aussieht.

Mit dem Wen Jiabao kommt nicht der Ministerpräsident eines "sozialistischen Entwicklungslandes" - wie sich China noch vor Jahren gern nannte - nach Berlin, sondern der Regierungschef eines der mächtigsten Länder der Welt. Das gilt allen voran für den wirtschaftlichen, zunehmend aber auch den politischen und militärischen Bereich. Neben Asien steht Europa im Mittelpunkt der ökonomischen Expansion der Volksrepublik. Afrika verliert wegen der unsicheren Zukunft der Länder vor allem im Norden des Kontinents tendenziell an Bedeutung. Auf dem Schwarzen Kontinent wächst andererseits das Interesse an der Übernahme des chinesischen Entwicklungsmodells von strikter Einparteien-Herrschaft und reglementiertem Staatskapitalismus. Da fragt man sich schon, wo Bundesaußenminister Guido Westerwelle in seiner neuen Afrika-Konzeption die Staaten mit starken Zivilgesellschaften ausmacht, deren Ziel eine parlamentarische Demokratie "à la européenne" ist.

Chinas Staatsfonds CIC, seine Großbanken und -unternehmen sind in wachsendem Maße in den verschiedensten Bereichen aktiv: Der Kauf der PKW-Sparte der schwedischen Nobelmarke Volvo sowie der Erwerb des größten griechischen Hafens in Piräus samt Plänen zu dessen Ausbau und der Kauf portugiesischer, spanischer und griechischer Staatsanleihen sind Ausdruck eines hohen Vertrauens in europäische Währung und Wirtschaft.

Auch Peking braucht Stabilität

Auch in Ungarn will China staatliche Bonds erwerben. Der Schlüssel zur Stabilisierung des Euro liegt nicht allein in Brüssel, Frankfurt am Main und Washington D.C. Mit einem Fingerschnipsen könnte Peking die extrem verschuldeten Vereinigten Staaten ins Wanken bringen, so hoch sind die Dollarreserven der Staatsbank ICBC und der Bestand an US-amerikanischen Staatsanleihen.

Doch Peking will … und kann nicht. Der nunmehrige Exportweltmeister braucht stabile Absatzmärkte und westliches Know-How. Die Zeiten des versuchten maoistischen Revolutionsexports sind vorbei. Instabilität in Europa und Nordamerika würde heute ebenso auf China zurückschlagen.

Menschenrechtsfragen sind zurückgestellt

Menschenrechtsfragen sind Grundfragen. Ob es aber sinnvoll ist, sich ständig nach zu erkundigen, zu dessen kulturellen Leistungen ja auch die öffentliche Zerstörung einer 2.000 Jahre alten Vase aus der Zeit der Han-Dynastie gehört, ist fraglich. Wen Jiabao hakt ja auch nicht bei Barack Obama wegen Mumia Abu Jamal und Leonard Peltier nach. Die Forderung nach Freilassung des Dakota-Aktivisten bleibt paradoxerweise dem Dalai Lama vorbehalten.

Andererseits macht sich ein Staat wie China weltweit lächerlich, wenn er einen einzelnen Künstler zum Objekt seiner Verfolgung macht. So sehr die Bundesregierung in der Öffentlichkeit demokratische Korrekturen auch auf den deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog zurückführt: China bewegt sich immer nur in dem Maße, wie es selbst es für richtig hält. So werden denn auch am Verhandlungstisch Wirtschafts- und Finanzfragen dominieren. Das marktwirtschaftliche Hemd sitzt auch der Regierung Merkel näher als der menschenrechtliche Rock.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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