Zwischenruf Kosovo: EU zwischen Degen und Wand
16.12.2010, 14:50 UhrDem Westen droht in der Kosovo-Frage erneut Ungemach: Der Europarat wirft Premier Hashim Thaci Organhandel und Auftragsmord vor. Verhandlungen zwischen Priština und Belgrad rücken in weite Ferne.

Die Vorwürfe gegen Thaci sind schwerwiegend.
(Foto: dpa)
Zwischen Baum und Borke ist eine unzureichende Zustandsbeschreibung für die EU nach den Vorwürfen gegen Kosovo-Premier Hashim Thaci. Organhandel ist eines der am meisten verabscheuungswürdigen Verbrechen, umso mehr, wenn Menschen dafür getötet worden sein sollen: gefangene Serben, in einem als "Gelben Haus" bekannten Gebäude im nordalbanischen Rribe. Der Bericht stammt vom schweizerischen Abgeordneten des Europarates, Dick Marty. Der ehemalige Staatsanwalt hatte sich schon mit seinen Berichten über Geheimgefängnisse und -flüge von Gefangenen des US-Geheimdienstes CIA in Europa vielerorts keine Freunde gemacht.
Die Vorwürfe müssen nun, wie von der österreichischen Kosovo-Berichterstatterin des Europaparlaments, Ulrike Lunacek, gefordert, von Ermittlungsbehörden untersucht werden. Schnellstmöglich, denn Thaci will nach dem Wahlsieg seiner Demokratischen Partei (DPK) am Sonntag im Amt bleiben.
Organhandel und Auftragsmord
Die Anschuldigung, der Sieg an den Urnen sei nur mit Hilfe von Lug und Trug möglich gewesen, wiegt vergleichsweise weniger schwer als der des Organhandels, ja sogar des Auftragsmords. Doch auch dies muss aufgeklärt werden, wenn Stabilität in der Region Einzug halten soll. Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, fordert, "jetzt schnell eine neue Regierung zu bilden", um "so bald wie möglich den Dialog zwischen Pristina und Belgrad zu beginnen". Dies läuft in der Endkonsequenz auf eine Anerkennung des Wahlergebnisses hinaus. Thaci ist aber zur Bildung eines Kabinetts auf politische Gruppierungen angewiesen, die der DPK Wahlbetrug vorwerfen.
Serbien wird unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vorwürfe einen Gesprächspartner Thaci nicht akzeptieren. Auch wenn jene Serben immer weniger werden, für die die Zugehörigkeit des Kosovo zu Serbien eine Glaubensfrage ist, kann es sich Boris Tadic nicht leisten mit einem Mann zu verhandeln, dem serbisches Blut an den Händen nachgesagt wird.
Im Spanischen wird "zwischen Baum und Borke" mit "entre la espada y la pared" übersetzt, "zwischen Degen und Wand". Dies beschreibt den Zustand der EU in der Kosovo-Frage besser.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de