Zwischenruf Kundus oder die Nase von Pinocchio
21.12.2009, 13:09 Uhr
Wie viel wusste Steinmeier?
(Foto: dpa)
Spätestens seit der verschwurbelten Rücktrittsforderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel an die Adresse des Bundesverteidigungsministeriums in der vergangenen Woche war auch dem Blauäugigsten klar, dass Ex-Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Glashaus saß. Verwundert hat nur, dass der jetzige Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in der Kundus-Affäre weiter munter mit Gesteinsbrocken in Richtung des oberfränkischen Freiherrn warf.
Es wird schwer, den Vorwurf vom Tisch zu wischen, auch der damalige deutsche Chefdiplomat habe mehr gewusst als er sagte. Wenn er wirklich keine Kenntnis von zivilen Opfern hatte, herrschten im Haus am Werderschen Markt ebenso schlamperte Zustände wie beim damaligen Bendler-Block-Chef Franz Josef Jung. Es verwundert auch, dass der Parlamentarische Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt von der CSU Informationen über zivile Tote an die Bundeskanzlerin erst dann weitergegeben haben will, nachdem Angela Merkel im Parlament zu dem Thema gesprochen hatte. Wurde das Papier bewusst nicht weitergeben, um sie nicht in Erklärungsnot zu bringen? Oder wusste sie doch mehr als sie sagte?
Schließlich standen die Bundestagswahlen ins Haus. Die mehrheitliche Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes war allbekannt. Es ist allerhöchste Eisenbahn, dass alle Beteiligten die Wahrheit sagen. Die Zeiten sind vorbei, in denen ein Konrad Adenauer sagen konnte, er interessiere sich nicht für sein Geschwätz von gestern. Damals lernten die Westdeutschen noch Demokratie, und die Ostdeutschen hatten gar keine.
Denn was sich in Sachen Kundus abspielt, ist eine Schande für die Demokratie. Jene Demokratie, die die Bundeswehr die Afghanen lehren will. Die selbsternannten Lehrer sollten sich erst einmal an die eigene Nase fassen. Aber vielleicht geht das gar nicht mehr, weil sie wie bei Pinocchio mit jeder Lüge ein Stückchen wächst.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de