Zwischenruf Liberté, Égalité, Fraternité für alle
19.08.2010, 14:14 Uhr
In einem illegalen Camp nahe Lille sortiert eine Frau ihre Sachen. Frankreich hat mit der Abschiebung von Roma begonnen.
(Foto: REUTERS)
Sarkozys Abschiebepraxis verbreitet einen üblen Geruch. Deutschland sollte vorsichtig sein, wenn es 12.000 Mitglieder von Minderheiten in das Kosovo rückführen will.
Der Vorgang ist beispiellos in der Europäischen Union. Auf Drängen von Frankreichs Staatspräsident beginnt heute die Abschiebung von rund 6000 Roma, die aus Rumänien und Bulgarien stammen. Die Rückkehr wäre freiwillig, heißt es. So freiwillig wie im vergangenen Jahr, als 10.000 Roma mit ein paar hundert Euro zum Verlassen des Landes animiert wurden. Eine potemkinsche Veranstaltung, denn die meisten sind als EU- oder gar französische Bürger wieder zurück. Dies wird auch diesmal so sein. Der Plan, kriminellen Immigranten die unterdessen erworbene französische Staatsbürgerschaft wieder abzuerkennen, erinnere an die Praxis des mit Nazideutschland kollaborierenden Vichy-Regimes, heißt es von Seiten der Linken. Damals wurde so die Deportation von Franzosen jüdischer Herkunft in die Vernichtungslager ermöglicht.
"Speedy Sarko" zieht wieder einmal eine seiner berühmten Luftnummern ab, um von eigenen Skandalsorgen abzulenken. Ein Großteil der Bürger goutiert sein Handeln nicht. Kritik kommt gar aus der eigenen Partei. Andererseits gehen in den UMP-Büros tausende von Anträgen auf Mitgliedschaft ein. Sarkozy zielt auch darauf, dem rechtsradikalen Front National das Wasser abzugraben. Das hat er mit der Debatte über die französische Identität schon einmal versucht und ist dabei auf die Nase gefallen.
Pauschale Bestrafung
Mit der Begründung, die Lager der Roma wären Brutstätten von Kriminalität und Prostitution setzt Nicholas Sarkozy auf die rassistische Karte. Statt rechtsstaatlicher Einzelverfolgung von Straftaten werden ganze Gemeinschaften pauschal bestraft. Das erinnert in fataler Weise an "Sippenhaft".
Sarkozy steht nicht allein: In Italien werden seit Wochen vorgeblich illegale Lager der Roma dem Erdboden gleichgemacht. In Ungarn ermordeten faschistische Banden in den vergangenen Monaten acht Roma; deren politischer Arm, die antisemitische und romafeindliche Jobbik-Partei, ist nunmehr drittstärkste Kraft im Parlament.
Verfolgung von Minderheiten ist typisch für Krisenzeiten. Bundesregierung und Länder sollten höllisch aufpassen, dass sie im Zuge der Rückführung von 12.000 Roma und Angehörigen anderer Minderheiten ohne gültigen Aufenthaltstitel in das Kosovo nicht in den üblen Geruch von Sarkozy, Berlusconi Co. geraten. Antiziganismus ist des Geburtslandes der Menschenrechte und ganz Europas unwürdig. Liberté, Égalité, Fraternité gelten für alle.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de