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Zwischenruf Lockerbie: Der letzte Vorhang

Megrahi beim Abflug Richtung Libyen.

Megrahi beim Abflug Richtung Libyen.

(Foto: AP)

Mit der Freilassung des schwerkranken Abdel Basset Ali Mohammed al-Megrahi fällt in einem weiteren blutigen Kalt-Krieg-Stück der letzte Vorhang. Wie hatte das Drama angefangen? Mit der Versenkung von zwei libyschen Kriegsschiffen durch die Sechste Flotte der US Navy 1986? Mit dem "Vergeltungsanschlag" auf die Diskothek La Belle im damaligen Westberlin, bei dem drei Personen den Tod fanden, 229 verletzt wurden, unter ihnen zahlreiche US-Soldaten? Der damalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Ronald Reagan, machte das Regime von Muammar al Ghaddafi dafür verantwortlich.

Das gestand eine Schuld nie ein, zahlte aber Betroffenen und Angehörigen Entschädigungen in zweistelliger Millionenhöhe. Wie im Fall des Bombenattentats auf die Boeing der PanAm, die beim Absturz über dem schottischen Lockerbie 1988 insgesamt 270 Menschen in den Tod riss. Was folgte waren die Bombardierungen von Tripolis und Benghasi durch US-amerikanische Kampfflugzeuge mit Dutzenden von Toten, darunter auch einer Adoptivtochter des Potentaten.

Wenn der einstige libysche Geheimdienstoffizier und Ex-Sicherheitschef der staatlichen Libyan Arab Airlines jetzt vorzeitig freikommt, ist dies nicht mehr als die Freiheit, dem Tod von seinem Krankenbett nicht mehr durch Gitter ins Auge zu blicken. Die Freiheit ist für den immer noch leugnenden Täter mithin bedeutungslos, die Empörung der Angehörigen gleichwohl verständlich.

Die Phase, in der die USA und Libyen einander als Todfeinde gegenüberstanden und ihre politischen Ziele ohne die geringste Achtung vor Menschenleben durchzusetzen versuchten, ist vorbei. Heute ist Muammar al Ghaddafi rehabilitiert. Er ist einer der engsten Verbündeten des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, Megalomane wie er selbst. Die Beziehungen zu anderen Staaten der Europäischen Union, darunter auch zu Deutschland, und den USA sind ausgezeichnet. Erdöl stinkt halt nicht.

Ghaddafi hätte an Megrahis Stelle oder mit ihm zusammen in den Knast gemusst. Dafür ist es nun zu spät. Die Kleinen werden gehenkt, die Großen lässt man laufen. Der letzte Vorhang im Stück "Lockerbie" mag gefallen sein. Doch dahinter geht das Theater weiter.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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