Zwischenruf Machtkampf entbrennt in Polen
14.04.2010, 12:53 Uhr
Wird sich Jaroslaw Kaczynski zur Wahl stellen?
(Foto: picture alliance / dpa)
Hinter den Kulissen ist der Kampf um die Macht in Polen in vollem Gange. Dem amtierenden Staatschef Komorowski wird vorgeworfen, er wolle Vorteile aus der Tragödie ziehen.
Während sich in Warschau auf den 500 Metern zwischen Königs- und Präsidentenpalast Menschen in vier Schlangen drängen, um des Präsidentenehepaares zu gedenken, geht der Machtkampf hinter der Trauerkulisse weiter. Sicher: In diesen Tagen wirkt das 38-Millionen-Volk wie eine einzige Trauerfamilie. Doch Polen war zu Lebzeiten von Lech Kaczynski ein gespaltenes Land, Meinungs- und Interessengegensätze werden durch seinen tragischen Tod nicht verschwinden.
Auch nach dem Tod von Johannes Paul II. im Jahre 2005 gelobten alle Parlamentsparteien Besserung im oft mit brutalen Mitteln geführten politischen Streit. "Postkommune" tönt es bald wieder von der einen, "Diebe" und "Lumpen" von der anderen Seite.
Arkadiusz Mularczyk, stellvertretender Vorsitzender der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zweifelt im rechtskatholischen "Nasz Dziennik" an den bisher bekannten Darstellungen zur Ursache des Absturzes, verweist auf die Erfahrungen des Piloten und weist zwischen den Zeilen der russischen Seite eine - wie auch immer geartete - Verantwortung zu. Ähnlich tönt der einflussreiche nationalkonservative Rundfunksender "Radio Maryja" von Pater Tadeusz Rydzyk, zu dessen Medienkonzern die Zeitung "Nasz Dziennik" gehört. Immer wieder wird die Schicksalhaftigkeit der Erde von Katyn beschworen und so ein nachgerade mythischer Zusammenhang mit dem Massenmord von Stalins NKWD im Frühjahr 1940 konstruiert.
Bruder konzilianter, aber nicht unumstritten
Die PiS-Partei befand sich vor dem Absturz der Präsidentenmaschine in den Umfragen nicht gerade auf einem Höhenflug. Gleiches gilt für den verunglückten Staatschef. Unklar ist, ob dessen Zwillingsbruder Jaroslaw bei den vorgezogenen Präsidentenwahlen antritt. Jaroslaw Kaczynski ist konzilianter als sein Bruder es war, wenn auch in der mehrheitlich streng katholischen Gesellschaft nicht unumstritten, weil er als 60-Jähriger immer noch unverheiratet ist. In jedem Fall wird ein PiS-Kandidat versuchen, vom nunmehrigen Nimbus des Verstorbenen zu profitieren. Schon jetzt sieht sich der amtierende Staatschef und Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei PO, Sejmmarschall Bronislaw Komorowski, Vorwürfen ausgesetzt, er wolle Vorteile aus dem Tod von Lech Kaczynski ziehen.
Die Beisetzung des Präsidentenpaares am 17. April in der Kathedrale auf dem Krakauer Wawel in der Krypta neben Marschall Jozef Pilsudski ist von hoher Symbolkraft. Pilsudski war Vorkämpfer der Unabhängigkeit seines Landes vom Zarenreich. Ein Zeichen der in diesen Tagen vielzitierten Versöhnung mit Russland ist das nicht. Die Feierlichkeiten werden die Einheit der Rzeczpospolita noch einmal beschwören. Danach wird der Machtkampf die Trauerkulisse verlassen. Im Juni wird der Nachfolger von Lech Kaczynski gewählt.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de