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Zwischenruf Maghreb: Die Lunte brennt

Die tunesische Bevölkerung hat die Nase von ihrer Regierung voll.

Die tunesische Bevölkerung hat die Nase von ihrer Regierung voll.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Ausschreitungen in Algerien und Tunesien zeigen vor allem eins: Die vermeintliche Stabilität in den Ländern ist trügerisch, die Schere zwischen der reichen Oberschicht und den verarmten Arbeitern ist groß. Insbesondere die jungen Leute wollen das nicht mehr hinnehmen.

Die blutigsten in Algerien und Tunesien seit Jahren haben eine gemeinsame Ursache: Die Schere zwischen dem großen Reichtum der Oberschicht und der Mehrheit der Bevölkerung klafft immer weiter auseinander. Beide Länder werden autokratisch regiert. In Algerien ist die sozialistische Befreiungsbewegung Front de Libération Nationale (FLN) zu einer Partei der Neureichen und Bonzen verkommen, die sich auf die Armee stützt. In Tunesien hat sich Präsident Ben Ali jüngst für eine fünfte Amtszeit wählen lassen.

In beiden Ländern gäbe es hinreichende Ressourcen und Finanzmittel, um den Lebensstandard breiter Schichten anzuheben. Korruption und Misswirtschaft lassen die Gelder in den Taschen der Herrschenden und ihrer Klans verschwinden. Dabei ist die Lage in Algerien noch dramatischer als in Tunesien. Das erdöl- und erdgasreiche Land verzeichnet eine erschreckend hohe Zahl von jugendlichen Arbeitslosen. Die Perspektivlosigkeit nimmt auch in den älteren Bevölkerungsgruppen beängstigende Ausmaße an. Die mittlerweile wieder zurückgenommene Preiserhöhung für Zucker und Öl war lediglich der Auslöser. Obzwar es in Tunesien gelang, den Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung zu mindern, leben viele noch weit unter dem Existenzminimum. Ein vergleichsweise gut entwickeltes Bildungssystem bietet Hochschulabsolventen keine Zukunft. Der promovierte Gemüsehändler in Tunis ist Teil einer bitteren Wahrheit.

Trügerische Stabilität

Die Demokratie ist wie in eine Farce. Politische Nutznießer sind Islamisten. In Algerien hatten sie in den neunziger Jahren einen jahrelangen Bürgerkrieg vom Zaune gebrochen. In Tunesien wurden in den vergangenen Jahren weit mehr als 1.200 Personen wegen tatsächlicher oder angeblicher Verbindungen zu Terrorgruppen verurteilt. In beiden Ländern werden gewerkschaftliche und linke Opposition um den Preis innenpolitischer Stabilität mundtot gemacht. Einer trügerischen Stabilität, wie sich jetzt herausstellt. In Algerien wie in Tunesien erstarken radikalislamische Kräfte, die eng mit gleichartigen bewaffneten Gruppen in Mauretanien, in Mali und im Niger verbunden sind.

Erst am Wochenende sind in der nigrischen Hauptstadt Niamey abermals zwei Franzosen entführt worden. Im vergangenen Jahr hatte der maghrebinische Zweig der Terrororganisation Al-Kaida einen Franzosen exekutiert, nachdem bei einer Geiselbefreiungsaktion mit französischer Militärbeteiligung mehrere Terroristen getötet worden waren.

Die Lunte im Maghreb brennt. Es wird am Ende nicht zu einer einzigen, gewaltigen Explosion kommen. Aber fortdauernde Detonationen werden am Ende zu ähnlicher Instabilität führen, wenn nicht demokratisiert und umverteilt wird.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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