Zwischenruf Mehr Gründlichkeit nötig
30.06.2009, 17:30 Uhr
Das Urteil der Richter macht auf Demokratiedefizite aufmerksam, meint Manfred Bleskin.
(Foto: dpa)
Als der Deutsche Bundestag dem Lissaboner Vertrag vor Jahresfrist zustimmte, gaben einige seiner Abgeordneten zu, das Dokument recht oberflächlich gelesen zu haben. Dass sie trotzdem dafür votierten, spricht für sich. Die Karlsruher Richter haben das Konvolut gründlicher studiert. Sie machen einmal mehr dort Politik, wo die "die Politik" schlampert gearbeitet hat.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ist zuzustimmen, wenn er sagt, dass die Entscheidung den europäischen Alltag nicht berührt. Das aber ist das Problem. Der "europäische Alltag" verläuft so, dass sich weit über die Hälfte der 62 Millionen Wahlberechtigten in unserem Land gar nicht für die Europäische Union und ihre Institutionen interessieren, wie das am Dienstag veröffentlichte Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament nun auch amtlich bestätigt. Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung der roten Roben dazu beiträgt, die Europamüdigkeit abzubauen. Sicher ist das aber nicht.
Denn das Urteil macht auf wesentliche Demokratiedefizite aufmerksam, die auf die unverändert beschränkten Befugnisse des Europäischen Parlaments zurückzuführen sind. Doch sind die komplizierten Klauseln angetan, von Nicht-Juristen verstanden zu werden?
Es mag sein, dass die so genannte Brückenklausel die Ausnahme ist. Aber gerade wenn es um Entscheidungen geht, die der Europäische Rat nicht einstimmig, sondern nach dem Mehrheitsprinzip fasst, sollten Parlamentarier und Ländervertreter gefragt sein. Es könnte ja der Fall eintreten, dass solche Mehrheitsentscheidungen gegen spezifisch deutsche Interessen gerichtet sind. Dies gilt nicht zuletzt für Militäreinsätze, die der Rat beschließt.
Künftig werden sich also alle Mitglieder von Bundestag und Bundesrat etwas gründlicher mit europäischen Papieren beschäftigen müssen.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de