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Zwischenruf Merkel: Das Dementi der Wahrheit

Truppenbesuch in Afghanistan: Bundeskanzlerin Merkel hält  im Camp Marmal in Masar-i-Scharif eine kurze Ansprache an die dort stationierten Bundeswehrsoldaten.

Truppenbesuch in Afghanistan: Bundeskanzlerin Merkel hält im Camp Marmal in Masar-i-Scharif eine kurze Ansprache an die dort stationierten Bundeswehrsoldaten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Kanzlerin äußert wegen der katastrophalen Lage in Afghanistan Zweifel am Rückzugstermin 2014. Dann ein Dementi. Statt über Termine zu schwadronieren, sollte die Regierung die Initiative zur Einberufung einer Friedenskonferenz ergreifen. Bester Ort dafür: Der Petersberg bei Bonn. Ein Kommentar von Manfred Bleskin.

Mit den Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Rückzug aus Afghanistan verhält es sich ähnlich wie einst mit Bemerkungen von Altbundespräsident Horst Köhler: Der hatte auf dem Rückflug aus dem Kriegsland erklärt, die Bundeswehr kämpfe auch für wirtschaftliche Interessen. Das hatte einen allgemeinen Aufschrei ausgelöst, der schließlich in Köhlers Rücktritt gipfelte. Dabei hatte das damalige Staatsoberhaupt nur das gesagt, was sich seit Beginn der 1990er Jahre in einschlägigen NATO-Dokumenten und Weißbüchern der Bundesregierung findet.

Frau Merkel hat berechtigte Zweifel am geplanten Datum für den Abzug aus dem Land am Hindukusch geäußert, weil es Probleme gäbe. "Probleme" ist gut. Die Taliban sind so stark wie seit ihrem Sturz im Jahre 2001 nicht mehr. Religiöse Fundamentalisten bestimmen die Politik von Staatspräsident Hamid Karsai. Drogenhandel und Korruption blühen. Regionale Warlords schalten und walten nach Belieben, die "Demokratie", die der Westen stiften wollte, besteht aus einem undurchsichtigen Geflecht von Clanstrukturen, der Staatschef konnte seine Wiederwahl nur durch massive Fälschungen sichern. Acht Millionen Menschen hungern, die Müttersterblichkeit ist eine der höchsten der Welt, die Erwerbslosigkeit bewegt sich um die 40 Prozent. Der immer wieder zitierte Schulbesuch von Mädchen ist zweifellos eine Errungenschaft. Allein machen ein paar Schwalben noch keinen Frühling.

Die implizite Schlussfolgerung, die Truppen deshalb noch länger vor Ort zu belassen, ist so falsch wie das anschließende Dementi unaufrichtig. Dass der Konflikt allein mit militärischen Mitteln nicht zu lösen ist, hat sich mittlerweile auch bis in Berlins politische Klasse herumgesprochen. Immer unglaubwürdiger hingegen ist das Argument, die ausländischen Truppen wären vor Ort, um die Bevölkerung vor den Taliban zu schützen. Die schlimmen Zwischenfälle der vergangenen Tage und Monate zeigen, dass die Bevölkerung mittlerweile des Schutzes vor den fremden Soldaten bedarf. Der beste Schutz der Menschen in Afghanistan wäre die Einberufung einer Friedenskonferenz unter Beteiligung aller Konfliktparteien vor dem geplanten Rückzugstermin in zwei Jahren. Ein geeigneter Platz dafür wäre der Petersberg bei Bonn.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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