Der alte und der neue Zar Moskauer Schmierenkomödie
25.09.2011, 12:05 Uhr
Vom Westen lernen heißt siegen lernen: Inszenierte Demokratie auf dem Parteitag in Moskau.
(Foto: AP)
Präsident und Premier in Russland tauschen ihre Ämter. Schon vor Jahren habe er sich mit Medwedew auf dieses Vorgehen geeinigt, sagt Putin. Die Delegierten des Parteitags jubeln. Bis 2036 könnte das so weitergehen. Dann wäre auch der letzte Unterschied zum Genossen Breschnew verschwunden.
Kongresse in Moskau waren schon immer etwas Besonderes. Erinnert sei an die KPdSU-Parteitage unter Generalsekretär Leonid Breschnew. Mehrere Tage ließ sich der senile und gesundheitlich schwer angeschlagene Mann beklatschen, der jedoch große Mühe hatte, dem Verlauf der Beratungen zu folgen. Eine Erfolgsmeldung nach der anderen wurde verkündet. Nach größtenteils inhaltsleeren und wirklichkeitsfernen Reden klopften sich die Funktionsträger auf die Schulter, und die Sowjetunion setzte ihren Weg in Richtung Abgrund fort. Väterchen Breschnew kehrte in den Kreml zurück und dämmerte weiter vor sich hin.

Der starke Mann für das heimische Publikum, der "Reformer" für westliche Investoren: das Tandem Putin und Medwedew.
(Foto: AP)
Insofern hat sich im Russland des 21. Jahrhunderts durchaus etwas geändert. Nicht mehr alte und kranke Männer dominieren die Politik im flächenmäßig größten Land der Erde. Mit Wladimir Putin haben die Russen einen Ministerpräsidenten, der sich so dynamisch und kraftstrotzend wie möglich inszeniert. Ihm zur Seite - besser gesagt: einen Schritt dahinter - steht der deutlich jüngere Dmitri Medwedew, Noch-Präsident der Russischen Föderation. Seit 2008 spielen beide auf der Basis eines ausgeklügelten Drehbuches ihre Rollen im russischen Polittheater. Weil auch ein Präsident Putin vor vier Jahren nicht die Verfassung außer Kraft setzen konnte, musste sich der 58-Jährige in diesen Jahren etwas zurücknehmen und gezwungenermaßen mit einer Nebenrolle vorlieb nehmen. Der 46-jährige Medwedew durfte auf Putins Stuhl im Kreml. Putin spielte weiter den Harten und Unnachgiebigen, Medwedew den Liberalen und Moderaten. Und beide Akteure waren dabei perfekt: Im Westen wollten nicht wenige Politiker und Medien an ein liberaleres Russland unter Medwedew glauben.
Nun hat Putin für Klarheit gesorgt. Auf dem Kongress der Staatspartei "Einiges Russland" verkündete Medwedew, seinen Platz im Kreml zu Gunsten Putins räumen zu wollen und dafür dessen Posten als Ministerpräsident zu übernehmen. Putin betonte, er und Medwedew hätten sich "seit langem, vor Jahren" in der Frage einer künftigen Rollenverteilung geeinigt. Nun müsste eigentlich jedem Delegierten klar geworden sein, dass das monatelange Tauziehen um die Kandidatur für das höchste Staatsamt, garniert mit leicht bekleideten jungen Damen, nur gespielt war. Es wurde trotzdem begeistert geklatscht. Was sich im Moskauer Luschniki-Sportpalast abspielte, war eine Schmierenkomödie ohnegleichen mit zwei Akteuren, die sich nicht einmal mehr Mühe gaben, diese augenscheinliche Kungelei zu vertuschen. Hunderte Komparsen bildeten dazu den Rahmen.
Ergebnisse der Wahlen stehen fest
Obwohl Putin nach Ansicht eines ehemaligen deutschen Regierungschefs ein "lupenreiner Demokrat" ist, hat das Ganze mit Demokratie natürlich nichts zu tun. Der ehemalige Geheimdienstler wird - dafür werden seine Helfer schon sorgen - im März des kommenden Jahres Präsident. Sicher wie das Amen in der Kirche ist auch die Übernahme des Ministerpräsidentenamtes durch Medwedew. Bei der Dumawahl im Dezember dieses Jahres wird "Einiges Russland" ohne jeden Zweifel mit Abstand stärkste politische Kraft werden. Wenn alles im Sinne Putins und Medwedews läuft, streiten sich im ohnehin schon schwachen Parlament nicht allzu viele Parteien herum. Vielleicht sind es nur die Kommunisten und die rechtspopulistischen Liberaldemokraten des notorischen Krawallmachers Wladimir Wolfowitsch Schirinowski, die es schaffen, neben Putins und Medwedews Wahlverein in die Duma einzuziehen.
So läuft die sogenannte "gelenkte Demokratie" des Wladimir Putin weiter. Der gebürtige Leningrader wird weiter die Oligarchen, die sich vor ihm in den Staub werfen, in Ruhe lassen. Andere, wie der ehemalige Yukos-Chef Michail Chodorkowski, kommen ins Straflager. Oppositionsparteien werden natürlich weiter zugelassen, aber nur wenn der Kreml es will. In dieser Hinsicht machte kürzlich der Milliardär Michail Prochorow eine ungute Erfahrung. Seine Amtszeit als Chef der rechtsliberalen Partei "Rechte Sache" war nur von kurzer Dauer. Er legte sich indirekt mit Putin und dessen Gefolgsleuten an. Das Imperium schlug zurück. Prochorow ging freiwillig.
Dabei hätte Russland viele Probleme zu diskutieren beziehungsweise zu lösen. Die ökonomische Lage bereitet Sorgen. Die auf den Abbau von Rohstoffen fixierte russische Wirtschaft stagniert. Die "normale Produktion", das beweist zum Beispiel der Autobauer Avtovaz, ist nach wie vor schwach. Die von Medwedew verlangten Wirtschaftsreformen sind von "seinem" Regierungschef Putin noch nicht umgesetzt worden. Nach wie vor ist Russland für ausländische Investoren - rechtlich gesehen - ein Minenfeld. Der ehemalige und künftige Präsident hat das Problem erkannt: 20 Millionen Jobs bis 2032 versprach er. Das Wirtschaftswachstum solle kräftig ansteigen.
Putin könnte im Fall zweier Amtszeiten bis 2024 regieren. Vorsorglich wurde eine Periode von vier auf sechs Jahre erhöht. Danach könnte Medwedew bis 2036 im Kreml sitzen. Wie Putin wurde auch er in Leningrad, das jetzt wieder Sankt Petersburg heißt, geboren. Vielleicht wäre es günstiger, die Regierung wieder an der Newa anzusiedeln. Russlands Zaren wären begeistert.
Quelle: ntv.de