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Zwischenruf Mourir pour Kosovo?

Von Manfred Bleskin

Heute soll im UN-Sicherheitsrat in New York über einen zweiten Entwurf einer neuen Kosovo-Resolution im UN-Sicherheitsrat beraten werden. Neben Frankreich, Großbritannien und den USA gehört auch Deutschland zu den Autoren des Textes. Im Vergleich zu Entwurf 1 wird als Konzession an Russland nunmehr vorgeschlagen, Serben und Albaner sollten nochmals 120 Tage Zeit bekommen, um selbst nach einer Lösung zu suchen. Dies hatte der serbische Ministerpräsident Vojislav Kostunica schon am Dienstag während eines Gesprächs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin abgelehnt.

Das ist nachvollziehbar, denn das Ziel ist gleich geblieben: die Unabhängigkeit der mehrheitlich von Albanern bewohnten serbischen Provinz. Eine endgültige Klärung des Status wäre wichtig für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Gebiets, heißt es immer wieder von den Befürwortern der Unabhängigkeit. Nun ist aber das Kosovo de facto seit 1999 unabhängig. In all den Jahren flossen westliche Hilfen in Milliardenhöhe an die Verwaltung in Pristina. Die Arbeitslosigkeit ist mit knapp 34 Prozent dramatisch hoch, Gesundheitswesen und Schulsystem liegen am Boden, die Energieversorgung ebenso. Die Schattenwirtschaft hingegen floriert; die kosovarische Verwaltung ist mit der organisierten Kriminalität verquickt. Dies wird sich durch eine de jure Unabhängigkeit kaum ändern. Hier anzusetzen hat der Westen versäumt. Dies aber wäre der richtige Weg gewesen, der traditionell ärmsten Region des früheren Jugoslawien eine Perspektive zu bieten.

Die USA und der EU-Außenbeauftragte Javier Solana erwägen angesichts der ablehnenden Haltung Russlands eine Lösung an den Vereinten Nationen vorbei. Dies wäre schlicht eine Verletzung des Völkerrechts. Erklärt sich das Kosovo einseitig zum souveränen Staat, ist eine Eskalation des Konflikts programmiert. Auch eine neuerliche militärische Konfrontation ist nicht ausgeschlossen. In Serbien gibt es genügend nationalistische Tschetniks, im Kosovo genügend Mitglieder der einstigen UCK, die nur darauf warten, Rache zu nehmen.

Sollten Deutschland und andere westliche Staaten dann gar die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen, so würde dies auch zu einer weiteren Verschärfung der Beziehungen mit Russland kommen, die durch die Pläne zur Stationierung von Teilen des US-Raketenabwehrschildes in Osteuropa wahrlich genug belastet sind.

Was einseitige Schritte des Westens auf dem Balkan bedeuten, hat die voreilige Anerkennung Kroatiens durch die Bundesrepublik Anfang 1992 gezeigt. Die großserbische Aggressivität eines Slobodan Milosevic und Konsorten war die eine, die Unterstützung für den Ustascha-Nationalismus durch viele westliche Staaten die andere Seite der Kriegsmedaille.

Die Lösung der Kosovo-Frage ist nur mit Augenmaß und ohne Eile möglich. Warum ist die Unabhängigkeit der Provinz so wichtig, wenn sie in Transnistrien, Abchasien und Süd-Ossetien unwichtig ist? Kroatiens Appetit auf die Herzegowina ist unverändert groß, die Serbische Republik in Bosnien träumt weiter von einem Anschluss an das Kernland. Auffällig ist, dass nicht nur Russland die Unabhängigkeit des Kosovo ablehnt. Auch Spanien, das mit den Katalanen und Basken genug Probleme hat, hält sich zurück.

Der Schlüssel ist die wirtschaftliche Entwicklung, für die sich die EU, aber auch Russland mit seinen Ölmilliarden ohne Vorbedingungen engagieren sollten. In einem florierenden Serbien gäbe es ebenso wie in einem florierenden Kosovo kaum eine Basis für extremen Nationalismus. Statusfragen mögen wichtig sein, aber sie sind nicht das Wichtigste. Die Alternative wäre eine neuerliche Zuspitzung auf dem Balkan. Mourir pour Kosovo?

Quelle: ntv.de

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