Zwischenruf Mühlstein oder Wackersteine?
09.04.2009, 17:21 UhrIn einem uralten Blues heißt es: "Where do the lights go when they go out?" Niemand weiß, wohin das Licht geht, wenn es ausgeht. Wohin die dreistelligen Milliardensummen gegangen sind, die Hypo Real Estate bisher vom Staat geschluckt hat, weiß scheinbar auch niemand.
Nun schickt sich die Bundesregierung an, den Münchner Immobilienfinanzierer zu verstaatlichen. Verfassungsfonform, aber zu spät. Wenn die Bank tatsächlich systemrelevant ist – ob also eine Insolvenz ähnliche Auswirkungen gehabt hätte wie die Pleite von Lehman in den USA –, tut sich die Frage auf, wieso niemand ein besonders scharfes Auge auf das Institut geworfen hat. Oder hat man beide Augen zugedrückt, nach dem Motto: Es wird schon werden?
Noch im Herbst vergangenen Jahres hatte Peer Steinbrück die HRE grundsolide genannt. Kurze Zeit später ging das Gespenst von einer Milliarde Euro um, nun sind es – wahrscheinlich – 1,5 Milliarden. Allein aus so genannten strukturierten Finanzprodukten. Insgesamt sollen es 5,5 Milliarden sein. In der Bilanz ist von einem Umsatz in Höhe von 400 Milliarden Euro die Rede. Berichte über Kredite in Höhe von 600 Milliarden Euro, die nicht in der Bilanz auftauchen und laufend über neue Kredite refinanziert werden müssten, wies die Bank zurück. So oder so: Das Ganze hat astronomische Dimensionen. Seither ist von einer Verschärfung der Bankenaufsicht die Rede. Bei Reden ist es bislang geblieben.
Der Aktienkurs des Pleiteninstituts stieg zwar, als heute das offizielle Übernahmeangebot in Höhe von 1,39 Euro pro Anteilsschein bekannt wurde. Doch das Papier bewegt sich weit unter jenen 22,50 Euro, zu denen sich der US-amerikanische Finanzbrigant J. Christopher Flowers vor einem Jahr knapp ein Viertel der HRE-Anteile beschafft hatte. Im Verlaufe der vergangenen zwölf Monate hatten sie 90 Prozent ihres Wertes verloren. Es ist nicht klar, ob die HRE je wieder ihre frühere Bedeutung erlangt. Möglicherweise hat sich die Bundesregierung und mit ihr die Steuerzahler einen Mühlstein um den Hals gehängt, der beide mit in die Tiefe zieht. Banker meinen, das Vertrauen wäre futsch. Ein Ausweg könnte eine Neugründung auf den Trümmern der HRE sein.
Wenn Flowers jetzt mit juristischen Mitteln droht, sollte sich die Bundesrepublik Deutschland nicht von ihm auf der Nase herumtanzen lassen. Und die Sonntagsreden über eine effektivere Bankenkontrolle endlich in die Alltagspraxis überführen. Sonst haben wir über kurz oder lang nicht nur einen weiteren Mühlstein am Hals, sondern den Bauch voller Wackerstein’.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de