
Eine polnische MiG-29 bei einer Flugshow (Archivbild).
(Foto: REUTERS)
Kampfjets für die Ukraine schienen bisher ein Tabu zu sein, tatsächlich jedoch sind sie ein folgerichtiger Schritt. Ein Kriegseintritt des Westens ist damit nicht verbunden, auch wenn die russische Propaganda das so darstellen wird.
Es ist das erste Mal seit Beginn der großen russischen Invasion in die Ukraine, dass ein NATO-Staat dem überfallenen Land offiziell Kampfflugzeuge liefert, und es passt, dass Polen diesen Schritt geht. Die polnische Regierung hat mehrfach gezeigt, dass sie Gefahr, die für Europa vom russischen Überfall auf die Ukraine ausgeht, richtig einschätzen kann. Sie ist vorangegangen und hat Druck gemacht, wenn andere, auch Deutschland, zögerten.
Warum es die erste offizielle Lieferung ist, hat der Militärexperte Gustav Gressel bereits vor einigen Wochen erklärt: Einige Staaten in Europa hätten die MiG-29 aussortiert und die verbleibenden Ersatzteile an die Ukraine gegeben, welche dort wiederum zu Flugzeugen zusammengebaut worden seien, sagte er ntv.de. "Dadurch haben wir zwar nichts geliefert, aber die ukrainische Luftwaffe betreibt heute mehr MiG-29-Kampfjets als sie jemals hatte."
Kampfflugzeuge sind kein Kriegseintritt
Auf den ersten Blick scheint die Lieferung von Kampfflugzeugen eine massive Eskalation zu sein, vor allem vor dem Hintergrund von Äußerungen des Bundeskanzlers. Im Januar sagte Olaf Scholz auf eine Frage nach der Lieferung von Kampfjets, er finde die Debatte "eigenwillig", er warnte vor einem Überbietungswettbewerb und plädierte dafür, dass es "um Sachfragen, um rationale Abwägungen" gehen müsse. Dann erinnerte Scholz noch daran, dass er wie auch US-Präsident Joe Biden schon zu Beginn des Kriegs "No Fly Zones" und die Entsendung von Bodentruppen abgelehnt hätten.
Scholz stellte die Lieferung von Kampfjets damit auf die Stufe eines unmittelbaren Kriegseintritts der NATO. Das war und ist abwegig. "Wenn wir der Ukraine Waffen geben, ob es Helme, Panzer oder Flugzeuge sind, unterstützen wir gemäß dem Völkerrecht", sagt der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen. Erst mit der Durchsetzung eines Flugverbots oder der Entsendung von Bodentruppen würde die NATO eine rote Linie überschreiten.
Trotzdem kann sowohl Scholz' Haltung als auch die der polnischen Regierung richtig sein. Der Grundsatz des Westens bei den Waffenlieferungen lautet weiterhin, dass die NATO keinesfalls Kriegspartei werden darf. Nur darf das eben nicht bedeuten, auf jede Drohung aus Moskau hin einzuknicken, denn das dürfte der Machthaber im Kreml als Einladung sehen, sich weitere Länder einzuverleiben. Zumal Putin und sein Regime längst verkünden, einen Krieg gegen den "kollektiven Westen" zu führen.
Ein Balanceakt, der für die Ukraine unbefriedigend ist
Die Idee hinter den Waffenlieferungen an die Ukraine ist nur zum Teil, dass das Land in die Lage versetzt werden soll, sich so gut wie möglich zu verteidigen. Die weitere, weniger deutlich formulierte Überlegung des Westens ist, Russland ein Motiv zu geben, den Krieg zu beenden. Dafür muss Russland nicht "besiegt" werden, sondern lediglich seine Truppen zurückziehen. Was Putin nicht gegeben werden soll, ist ein Vorwand, seinen mörderischen Krieg noch stärker auszuweiten, womöglich gar nuklear.
Es ist ein Balanceakt, der aus Sicht der Ukraine unbefriedigend ist. Ihr geht es darum, einen Aggressor abzuwehren, der nichts anderes im Sinn hat als die totale Vernichtung ihres Landes. Militärisch ist klar, dass Kampfjets dafür wichtig wären. Sie könnten sowohl die Flugabwehr unterstützen als auch Offensiven. Für beide Verwendungszwecke sind sie deutlich mobiler als etwa Mehrfachraketenwerfer oder bodengestützte Flugabwehrsysteme. Nach Einschätzung ukrainischer Militärexperten könnten selbst die Hyperschallraketen der Klasse "Kinschal" von Kampfflugzeugen abgefangen werden - allerdings wohl eher von westlichen Jets.
Das Signal des heutigen Tages passt exakt zu dem, was Scholz immer sagt: Der Westen steht an der Seite der Ukraine und hilft ihr so lange wie nötig. Letztlich bedeutet dies, dass eines Tages auch westliche Kampfflugzeuge in die Ukraine geliefert werden können. Dass der Kanzler die Lieferung von Kampfjets generell ausgeschlossen hat, ist kein Problem: Die Bundeswehr verfügt schon seit Jahren nicht mehr über eigene MiGs, die letzten wurden 2002 an Polen abgegeben. Und der Tornado eignet sich weniger gut als beispielsweise US-Maschinen vom Typ F-16 Fighting Falcon und F-18 Super Hornet, auf denen ukrainische Piloten bereits trainieren: Der Tornado sei ein sehr altes Gerät, das bereits viele Flugstunden auf dem Buckel habe, sagte Militärexperte Gressel.
Deutschland ist fein raus
Zudem hätten alle anderen Staaten in Europa den Tornado bereits aussortiert, sodass keine Koalition zur Lieferung gebildet werden könnte. "Der Tornado ist kein Leopard der Lüfte", so Gressel mit Blick auf den Kampfpanzer, den Scholz lange nicht liefern wollte. In der Kampfjetfrage ist Deutschland also fein raus. Ob die jüngste polnische Entscheidung mit oder ohne Konsultation der westlichen Partner erfolgte, ist derzeit noch unklar: Wenn es sich bei den Kampfflugzeugen um MiGs aus alten DDR-Beständen handelt, muss Polen die Bundesregierung um Erlaubnis fragen, bevor sie die Maschinen weiterreicht.
Getan hat sie das offenbar nicht, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius jedenfalls zeigte sich am Rande eines Truppenbesuchs in der Nähe von Magdeburg überrascht. Klar ist indessen, dass Polen zu dem Schluss gekommen ist, dass die Lieferung von MiGs ein Eskalationsschritt ist, der jetzt möglich ist. Schon kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hatte die Regierung in Warschau laut darüber nachgedacht, ob man dem Nachbarland nicht Kampfjets liefern sollte. Die USA hielten sie damals davon ab. Heute passt die Lieferung zum bisherigen Vorgehen des Westens: nicht alles sofort, sondern nacheinander. Die Temperatur wird gewissermaßen langsam hochgedreht, um Putin einerseits nicht in die Ecke zu drängen, ihm andererseits aber unmissverständlich klarzumachen, dass er keinen Erfolg haben wird.
Sicher, man kann die Situation auch anders einschätzen als die polnische Regierung es tut. Risikolos ist beides nicht: weder die Lieferung der Kampfflugzeuge noch der Verzicht darauf. Das gilt auch grundsätzlich für die Frage, ob der Westen die Ukraine mit Waffen unterstützen sollte. Einen Weg ohne Risiko gibt es hier nicht, auch wenn Kritiker der Lieferungen das gern so darstellen. Denn dann würde der Westen nicht nur die Ukraine im Stich lassen, sondern Russland demonstrieren, dass ein Krieg sich lohnt, um seine Interessen durchzusetzen.
(Dieser Artikel wurde am Donnerstag, 16. März 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de