Zwischenruf Portugal: Vom Regen in die Traufe
06.06.2011, 16:17 Uhr
Sócrates erleidet eine schmerzliche Niederlage.
(Foto: AP)
In Portugal gibt es einen Machtwechsel. Doch letztlich wollen die Liberalkonservativen nichts anderes als der sozialistische Ministerpräsident Sócrates. Und das bedeutet in der jetzigen Krise: Den Portugesen stehen harte Zeiten ins Haus.
Eigentlich hätte sich das Land den sparen können. Die siegreichen Liberalkonservativen von der PSD hatten noch am Wahlabend verkündet, dass sie die rigorosen Sparauflagen des Troika genannten Dreibunds aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds strikt einhalten wollen. Nichts anderes hatte die Regierung der PS in der Versammlung der Republik gesagt.
Doch das erklärte Ziel der rechten Opposition bestand im Sturz des Kabinetts des sozialistischen Ministerpräsidenten José Sócrates. Deshalb hatten die Damen und Herren um PSD-Neuparteichef Pedro Passos Coelho gegen den entsprechenden Gesetzesentwurf der Regierung gestimmt und sie damit zum Rücktritt gezwungen. Das ist pure Machtpolitik. Wenn eine Mehrheit der Portugiesen der PSD dennoch ihre Stimme gegeben hat, so geschah dies im Vertrauen auf deren Wirtschaftskompetenz: Tatsächlich war der PSD-Regierung mit dem damaligen Premierminister und jetzigem Staatschef Aníbal Cavaco Silva von Mitte der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre ein eindrucksvoller ökonomischer Aufschwung gelungen. Dieser gründete sich nicht zuletzt auf massive Geldzuwendungen aus den Fonds der Europäischen Gemeinschaft, deren Mitglied Portugal 1986 geworden war. Auch jetzt fließt Geld. Der Unterschied: Damals war es für Wirtschaftsprojekte bestimmt, heuer geht es um den Abbau der Staatschuld. Wie andernorts auch, bleiben die immer noch vorhandenen Gewinne der einheimischen Banken privat, die Schuldenlast wird sozialisiert.
Wahlgewinner und künftiger Premier Passos Coelho meinte vor Anhängern in Lissabon, seinen Landsleuten stünden vier schwierige Jahre bevor. Seine Worte gingen im Jubel unter. Die meisten mögen glauben, die Härten träfen nur die anderen. Dabei werden gerade die Mittelschichten bluten müssen, aus denen die PSD ihre Stammwählerschaft rekrutiert.
Auch wenn die PSD zusammen mit der nationalkonservativen CDS über die absolute Mehrheit der Parlamentssitze verfügt, braucht sie für abermalige Verfassungsrevision und den weiteren Abbau von Arbeitnehmerrechten im Zuge der von der Troika auferlegten Sparmaßnahmen eine Zweidrittelmehrheit, die nur mit Hilfe des sozialistischen Wahlverlierers zustandekommen kann.
Damit stellt sich für die bislang regierende PS die Gretchenfrage: Im Kern weiter so wie bisher oder ein Schwenk in Richtung Kommunisten der PCP und Linksblock (Bloco de Esquerda)? Erstere konnten immerhin spürbar zulegen, letztere mussten nicht zuletzt wegen ihrer Nachsichtigkeit gegenüber der Regierung erhebliche Stimmenverluste hinnehmen. Den Portugiesen jedenfalls stehen harte Zeiten ins Haus. Und nicht alle sind so begeistert, wie die PSD-Anhänger in der Wahlnacht. Die Linke, die parteiübergreifende Protestbewegung "Geração à rasca" und die einflussreichen Gewerkschaften scharren schon mit den Hufen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de