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Zwischenruf Ratio oder Gewalt?

Es herrscht wieder Krieg in Europa. Diesmal an seinen Grenzen zu Asien, wo gegensätzliche geostrategische Interessen schon seit der Antike aufeinander prallen. Heuer stehen sich Russland und die USA gegenüber. Moskau betrachtet die Region seit dem Zerfall der UdSSR als Teil des "nahen Auslands"; in Washington erklärte der damalige Präsident Bill Clinton das knapp 400.000 Quadratkilometer große Gebiet schon in den neunziger Jahren zum Bestandteil der "strategischen Einflusssphäre" seines Landes.

Weder geht es Russland um die Freiheit und Unabhängigkeit Südossetiens noch den Vereinigten Staaten um die territoriale Integrität Georgiens. Vom aserbaidschanischen Baku verläuft eine der wichtigsten Pipelines der Region quer durch den Kaukasus über das tschetschenische Grosny in den russischen Schwarzmeerhafen Tuapse, die Südkaukasus-Erdgasleitung führt von Baku über das georgische Tiflis ins türkische Erzurum.

Durch die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline fließt aserbaidschanisches und kasachisches Erdöl nach Ceyhan in der Türkei. Im vergangenen Jahr begannen Russland, Griechenland und Bulgarien mit dem Bau einer Erdölleitung, die den bulgarischen Schwarzmeerport Burgas mit dem griechischen Ägäishafen Alexandroupolis verbindet. Mit Tankern transportiertes russisches Erdöl soll von dort aus in Europa verteilt werden. Die USA versuchten das Vorhaben noch am Vorabend der Vertragsunterzeichnung durch die Präsidenten der drei beteiligten Staaten im März 2007 durch Druck auf den hellenischen NATO-Partner zu verhindern. Es zeugt von bemerkenswerter Offenheit, wenn Georgiens Präsident Michail Saakaschwili auf CNN erklärt, es ginge "nicht mehr nur um Georgien, sondern um Amerika und seine Werte".

Angst vor Umzingelung

Es ist immer schwer nachzuvollziehen, wer den ersten Schuss abgegeben hat. Zwischen Südossetien und Georgien scharmützelte es seit Ende des südossetischen Unabhängigkeitskrieges 1992 trotz eines 2004 vereinbarten Waffenstillstands immer wieder. Unmittelbarer Anlass für die militärische Eskalation war zweifelsfrei aber der Einmarsch georgischer Truppen in die abtrünnige Teilrepublik. Es ist unvorstellbar, dass dies ohne Wissen von Präsident George W. Bush geschah. Die Vereinigten Staaten finanzierten die Angleichung der Armee Georgiens an NATO-Standards mit gut 80 Millionen Dollar, in den Streitkräften wimmelt es nur so von US-Beratern, zu denen sich seit 2002 auch türkische Ausbilder gesellen.

Die vor allem von den USA betriebene Aufnahme Georgiens in die NATO zu verhindern ist erklärtes Ziel des Kreml. Das militärische Eingreifen Moskau ist deshalb auch weniger - wie Premier Wladimir Putin formuliert "Vergeltung" für das Bombardement der südossetischen Kapitale Zchinwali und den Tod von Zivilisten mit russischem Pass. Sollte Georgien - oder gar die Ukraine - Mitglied der Atlantischen Allianz werden, würde Russland nicht nur im Osten, sondern auch im Süden an einen NATO-Staat grenzen. Die alte russisch-sowjetische Angst vor einer Umzingelung durch feindliche Mächte feiert blutige Urständ.

Die Gefahr, dass der Krieg auf die gesamte Kaukasusregion überschwappt ist groß. Dort leben rund 50 Völker, von denen fast jedes seine eigenen Erfahrungen mit zaristischer, sowjetischer oder osmanischer Herrschaft gemacht hat. Schon Abchasien, das sich in ähnlicher Lage wie Südossetien befindet, könnte der nächste Schauplatz sein. Eine unmittelbare Konfrontation zwischen Russland und den USA ist wenig wahrscheinlich. Doch sind in Südossetien nicht nur die russischen Streitkräfte und die US-Berater der georgischen Streitkräfte auf Tuchfühlung gegangen. Die Regierung in Tiflis will ihre 2.000 im Irak stationierten, kampferprobten Soldaten an die Front holen. Mit Hilfe von US-Transportflugzeugen. Es liegt auf der Hand, dass die Rückrufaktion auch zur Heranführung von militärischem Nachschub genutzt und durch US-Militärpersonal begleitet wird.

Neue Phase der Konfrontation

Mit dem russisch-georgischen Krieg ist die Konfrontation zwischen der Supermacht USA und der aufstrebenden Großmacht Russland in eine neue Phase getreten. Die Rückkehr Südossetiens und Abchasiens in den georgischen Staatsverband nach dem Modell Adschariens ist schwer vorstellbar. Neben einer weitestgehenden Autonomie mit Steuerhoheit und eigenen Sicherheitskräften blieben am Ende nur "kosovarische Lösungen" übrig. Die Schaffung russisch-georgischer Kondominien erscheint wegen der Gegensätzlichkeit der Interessen für einen überschaubaren Zeitraum ausgeschlossen.

Nicht nur im Kaukasus, auch an anderen Stellen prallen die Interessen Moskaus und Washingtons aufeinander. Die USA wollen, dass Nicaragua seine tragbaren Luftabwehrraketen russischer Bauart einstampft, Venezuela und Russland arbeiten seit einiger Zeit auch auf militärischem Gebiet zusammen. Hartnäckig halten sich Gerüchte, wonach Russland als Antwort auf die Einbeziehung Polens und Tschechiens in den US-amerikanischen Raketenabwehrschirm plant, russische Waffensysteme und Truppen auf Kuba zu dislozieren.

Schon 1962 brachte die Sowjetunion als Reaktion auf die Stationierung von US-Thor- und Jupiterraketen in der Türkei Raketen auf die Karibikinsel. Damals stand die Welt 13 Tage am Rande eines Atomkriegs. Schlussendlich siegte die Vernunft. Bleibt zu hoffen, dass auch diesmal die Ratio die Oberhand über die Gewalt behält.

Quelle: ntv.de

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