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Die Linke nach Lafontaine Regieren oder lamentieren

Auf die Linkspartei warten unsichere Zeiten. Sie ist gespalten in Flügel, zwischen denen nicht nur inhaltlich, sondern auch strategisch Welten liegen. Die Verantwortung dafür liegt bei Gregor Gysi - dem Mann, von dem seit 20 Jahren das Überleben der Partei abhängt.

23. Januar: Oskar Lafontaine gibt seinen Rückzug aus der Bundespolitik bekannt. Rechts Fraktionschef Gregor Gysi.

23. Januar: Oskar Lafontaine gibt seinen Rückzug aus der Bundespolitik bekannt. Rechts Fraktionschef Gregor Gysi.

(Foto: dpa)

Als die WASG im Sommer 2007 der PDS beitrat, bildete sich die neue Partei ein, sie sei aus dem Zusammenschluss von gleichberechtigten Partnern entstanden. Das war ein Mythos, wie so viele Erzählungen dieser Partei. Heute hat die Linke in Ostdeutschland knapp 49.000 Mitglieder, im Westen sind es gut 20.000 weniger. Selbst im kleinen Brandenburg hat die Linkspartei mehr Mitglieder als in Nordrhein-Westfalen.

Schon zwei Jahre vor dem Beitritt der WASG hatte sich die PDS in "Linkspartei.PDS" umbenannt. Es war nicht der erste Etikettenschwindel: Am 16. Dezember 1989 beschloss der letzte SED-Parteitag nicht die Auflösung, sondern die Umbenennung der Partei. Eine Woche zuvor war Gregor Gysi zum letzten SED-Vorsitzenden gewählt worden. Sein zentrales politisches Anliegen ist seither unverändert. Auf dem Sonderparteitag der SED sagte er zwar: "Es geht nicht um neue Tapeten. Wir wollen eine neue Partei." Keinesfalls jedoch sollte es eine Neugründung sein: "Die Auflösung der Partei und ihre Neugründung wäre meines Erachtens eine Katastrophe für die Partei."

Das Gysi-Paradox

Noch immer ist Gysi die Verkörperung des Zusammenhalts seiner Partei. Wenn es kriselte, rief die Partei nach ihm. Er sicherte das Überleben der SED, der PDS, auch der Linken. Zum Gysi-Paradox gehört jedoch auch, dass die Partei dafür einen hohen Preis bezahlte. Denn Gysi waren linke West-Sektierer wie auch ehemalige Stasi-Mitarbeiter willkommen, wenn es nur um die Partei ging. Auch das war von Anfang an klar: "Wir wissen", sagte er in seiner Rede vom Dezember 1989, dass "viele Genossen" des Ministeriums für Staatssicherheit "stets pflichtbewusst und ehrlich die ihnen erteilten Aufträge, die sie sich nicht aussuchen konnten, erfüllt haben".

20 Jahre nach dem Ende der DDR hat die Partei noch immer keinen glaubwürdigen Bruch mit der Stasi vollzogen. Zuletzt war dies in Brandenburg zu besichtigen, als nach der dortigen Landtagswahl Enthüllung auf Enthüllung folgte. Sieben der ursprünglich 26 Mitglieder der Landtagsfraktion sind nach derzeitigem Stand stasibelastet - vier dieser Fälle waren vor der Wahl nicht bekannt.

Spalter und Besserwisser

Dietmar Bartsch - hier zwischen Gysi und Lafontaine - ist dem Machtkampf zwischen Fundis und Realos zum Opfer gefallen.

Dietmar Bartsch - hier zwischen Gysi und Lafontaine - ist dem Machtkampf zwischen Fundis und Realos zum Opfer gefallen.

(Foto: REUTERS)

2007 übergab Gysi, gesundheitlich angeschlagen, die Partei an Oskar Lafontaine. "Vereiniger brauchen wir, nicht Spalter oder Besserwisser", sagte Gysi bei der Linken-Klausur vor zwei Wochen. Das war auf Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch gemünzt, den er zuvor öffentlich hatte fallenlassen. Besser passt der Spruch jedoch auf Lafontaine, der als Vorsitzender einen Richtungsstreit angezettelt hat, an dem die Linkspartei leicht hätte zerbrechen können.

Lafontaines Rückzug aus der Bundespolitik folgt nicht politischen Notwendigkeiten, sondern gesundheitlichen Zwängen. Und doch ist die Entscheidung für seine Partei eine große Chance: Mit Lafontaine wäre eine Aussöhnung der oft eher fundamentalistischen West-Landesverbände mit den pragmatischen Ost-Landesverbänden unmöglich gewesen. Im Gegenteil: Seine Attacken gegen die rot-rote Koalition in Brandenburg befeuerten die Spaltung nur. Auch eine Annäherung der Linkspartei an die SPD wäre mit Lafontaine nicht möglich.

Lötzsch und Ernst - oder wieder Gysi?

Für die Linkspartei ist es die möglicherweise letzte Hoffnung, laufen zu lernen. Sie muss lernen, ohne das Charisma von Lafontaine auszukommen. Vor allem aber muss sie sich endlich von ihrem Gründer- und Übervater Gysi lösen. Die Voraussetzungen sind denkbar schlecht. Die Partei ist zerrissen zwischen radikalen Alt-Linken im Protest-Modus und regierungswilligen Ostdeutschen auf Koalitionskurs.

Mögliches neues Spitzen-Duo: Gesine Lötzsch und Klaus Ernst.

Mögliches neues Spitzen-Duo: Gesine Lötzsch und Klaus Ernst.

(Foto: dpa)

Im Mai will die Linkspartei auf ihrem Parteitag in Rostock einen neuen Vorstand wählen. Wahrscheinlich wird es bei der Doppelspitze bleiben, die dann eigentlich zugunsten Lafontaines hätte aufgegeben werden sollen. Wahrscheinlich werden die Vorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst heißen. Der Berlinerin Lötzsch ist die Rolle einer "Vereinigerin" sicherlich zuzutrauen. Fraglich ist, ob Ernst diesem Stellenprofil gerecht werden kann. Der Lafontaine-Vertraute aus Bayern trat in der "Causa Bartsch" eher als Einpeitscher auf.

Wie kritisch der Zustand der Partei ist, sieht man daran, dass auch ein Gysi-Comeback ernsthaft diskutiert wird. 2013 wird im Bund gewählt. Bis dahin muss die Partei geklärt haben, ob sie regieren oder lamentieren will. Wie auch immer sie entscheidet: Ihre Erfolgsgeschichte ist beendet.

Quelle: ntv.de

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