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Zwischenruf Richten, was zu richten ist

Von Manfred Bleskin

Reden dieser Tage polnische und deutsche Spitzenpolitiker über den jeweils anderen, dann klingt's, als ob sich da – um's mal nett auszudrücken - Gegner und nicht Nachbarn gegenüberstünden, die demselben politisch-wirtschaftlich-militärischen Block angehören.

Die gegenseitigen Be- und Anschuldigungen sind Legion. Nun will die Bundeskanzlerin richten, was zu richten ist. Das wird schwierig. Was sich da in Jahrzehnten, ja Jahrhunderten an Konfliktstoff aufgehäuft hat und seit Beginn der Kaczynski-Ära in Warschau wieder voll zum Ausbruch kommt, ist nicht an zwei Tagen aus der Welt zu schaffen.

Um nur die letzten Fetzen zu nehmen, die da flogen: Mariusz Muszynski, der polnische Beauftragte für die Beziehungen zu Deutschland, wirft Berlin in völlig undiplomatischer Weise eine "nationale, in ihrem Wesen egoistische und dadurch Polen nicht gerade freundlich gesinnte Politik" vor.

Erika Steinbach, Vertriebenenpräsidentin und für die CDU immerhin Abgeordnete des Deutschen Bundestages, vergleicht polnische Regierungsparteien pauschal mit deutschen Neonazis. Frau Steinbach ist qua Funktion und auch ansonsten für ihren schiefen Blick auf Geschichte und Gegenwart bekannt. Gesine Schwan, Sozialdemokratin und Regierungsbeauftragte für Polen, spricht mit Blick auf die Warschauer Deutschland-Politik von Erpressung und Tricksereien. Ihr hätte man als Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und einstiger rot-grüner Kandidatin für das Amt des Staatsoberhaupts zugetraut, dass sie die Contenance wahrt. Trugschluss.

Nun wird wechselseitig in Warschau und Berlin darüber schwadroniert, wer denn nun schuld an der Misere wäre. Zunächst: Die Wurzeln des Zwistes reichen tief in die Vergangenheit zurück. Die eigenständige polnische Kirche entstand 968 aus einem Konflikt zwischen dem deutschen Kaiser und dem polnischen König. Deutsche Ordensritter, von polnischen Herrschern gegen die mongolisch-tatarischen Reiterscharen zu Hilfe gerufen, fielen ihren Verbündeten in den Rücken und errichteten ein eigenes Staatsgebilde. Dreimal wurde unser östlicher Nachbar unter maßgeblicher Beteiligung Preußens geteilt. Warschau gehörte bis 1806 gewissermaßen zu Deutschland. Polen war das erste Opfer der nazideutschen Aggression, Polen waren die ersten Opfer des faschistischen Völkermords. Geschichte wirkt bei Opfern anders als bei jenen, die sich zu den Siegern zählen. Ob Angela Merkel bei ihrem Ostseestrandspaziergang mit Präsident Lech Kaczynski auf Hel einfällt, dass die Soldaten der polnischen Marinebasis auf der Halbinsel 1939 noch heldenhaft Widerstand leisteten, als die Hitler-Wehrmacht schon tief ins Landesinnere vorgedrungen war?

Es ist bei uns in den vergangenen Jahren wieder "politically correct" geworden, das Leid gegeneinander aufzurechnen, das Polen einerseits, Deutschen andererseits in Weltkrieg II widerfahren ist. Wir hatten noch nie einen so lustigen und/oder menschlichen Hitler auf deutschen Leinwänden und Bildschirmen wie heuer. Das hinterlässt Spuren. Das zeigt Wirkung. Deutsche sehen sich weniger in der Schuld, Polen meinen, wieder einen deutschen Stechschritt auf Warschaus Schlossplatz zu vernehmen. Natürlich ist es irrsinnig, die deutsch-russische Zusammenarbeit bei der Ostseepipeline mit dem Hitler-Stalin-Pakt in einen Topf zu werfen. Aber Ressentiments sitzen tief.

Das ändert nichts daran, dass die Rzespospolita derzeit von erzkatholischen National-Konservativen regiert wird, die auch ein Bündnis mit Rechtsextremisten und Antisemiten nicht scheuen. Die Gebrüder Kaczynski versuchen mit tatkräftiger Unterstützung aus Washington, Sand ins europäische Getriebe zu werfen und so vermeintlichen deutschen Expansionismus zu unterlaufen. Hinzu kommt, dass es der Mehrheit der Polen auch nach dem Ende der "linken" Regierungen nicht besser geht als vorher. Die Kaczynskis neoliberalisieren munter weiter, da braucht’s ein nationalistisches Ventil.

Die Agenda der Gespräche zwischen Angela Merkel, die ja auch als EU-Ratspräsidentin reist, ist prall gefüllt: der europäische Verfassungsvertrag, in den Polen einen Gottesbezug eingefügt wissen will, das US-Raketenabwehrsystem, das Berlin gern nato-isieren und Warschau bilateralisieren will, der Streit über die Entschädigungsforderungen der so genannten Preußischen Treuhand, deren "Vorstandschef" derselben Partei angehört wie Frau Merkel, die Forderungen Warschaus, das Projekt Ostseepipeline entweder zu versenken oder Polen ein Mitspracherecht einzuräumen, das "Vertriebenenzentrum", das Polen zu Recht als Geschichtsklitterung empfindet.

Es wird Jahrzehnte brauchen, bis die Konflikte aus der Welt sind. Wenn das überhaupt geht. Irgend etwas wird immer bleiben im historischen Gedächtnis beider Völker. Doch Nachbarn sind aufeinander angewiesen. Der Schlüssel liegt im Abbau der jahrhundertealten gegenseitigen Vorbehalte und in der Schaffung wirtschaftlicher Prosperität auf beiden Seiten von Oder und Neiße. Dazu müssen Warschau und Berlin auch von verbaler Aggressivität abrücken, dazu muss der polnische Klempner hierzulande als willkommener Helfer gesehen werden, dazu darf sich der deutsche Unternehmer dortzulande nicht als Manchester-Kapitalist aufführen.

Quelle: ntv.de

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