Zwischenruf Sancta Trinitas statt Hartz-IV-Streit
03.08.2010, 15:19 Uhr
Streitthema: die Erhöhung der Hartz-IV-Bezüge.
(Foto: dpa)
Die Spitzen der katholischen und evangelischen Kirche sind sich einig: Der Staat ist aus Verfassungsgründen in der Pflicht, das Existenzminimum zu sichern.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Spitzen der beiden größten christlichen Konfessionen und die Spitzen der C-Parteien in politischen Grundsatzfragen gegensätzlicher Meinung sind. Schon in Sachen Irakkrieg hatten sich Katholiken und Protestanten von der Befürwortung des US-geführten Einmarsches in das Zweistromland abgegrenzt. Nun stehen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, im Streit um die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze auf der einen, die Christen der Bundesregierung auf der anderen Seite.
Zollitsch hat Recht, wenn er den Staat aus Verfassungsgründen in der Pflicht sieht, das Existenzminimum zu sichern. Nächstenliebe darf von der Kassenlage abhängig sein. So nimmt es nicht Wunder, wenn Zollitsch fordert, zur Bezahlung höherer Hartz-IV-Bezüge auch höhere Schulden in Kauf zu nehmen. Nun ist ein Prälat kein Minister, aber er hat einen seelsorgerischen Auftrag. Wie bei Lichte besehen auch der Staat.
Armut von der Wiege bis an die Bahre
Immer wieder wird das absurde Argument bemüht, die künftigen Erwachsenen müssten für die Schulden der heutigen Erwachsenen aufkommen. Bereits heute sind knapp zwei Millionen Kinder unter 15 Jahren auf staatliche Unterstützung angewiesen. Sie werden künftig ganz gewiss nicht in der Lage sein, irgendetwas zu zahlen. Im Gegenteil: Die Armut wird in den meisten Fällen zu einem Zustand, der diese Kinder von der Wiege bis an die Bahre begleitet.
Bischof July lehnt die von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen geplante Ausgabe von Gutscheinen für Bildungsangebote ab. Aus gutem Grund: Schon jetzt sind arme Kinder stigmatisiert; das Leyensche Vorhaben läuft auf eine Art Armutsausweis hinaus.
Kirche bringt Parteien in Zugzwang
Dem Fass endgültig zum Überlaufen bringt der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Fuchs: Hartz IV dürfe nicht attraktiver werden als Arbeit. Sollte es tatsächlich dazu kommen, wäre es doch Aufgabe der Koalition, sich für höhere Löhne und Gehälter stark zu machen. Dies würde zugleich die Binnennachfrage steigern und so die einseitige Abhängigkeit des Wirtschaftswachstums vom Export mindern.
Mit ihrer zeitgleichen Stellungnahme haben die katholische und evangelische Kirche die C-Parteien in Zugzwang gebracht. Eine gemeinsame Stellungnahme von EKD und Bischofskonferenz hätte die Wirkung freilich erhöht. Zugleich sind beide nach Monaten endlich aus der Schmuddelecke des Kindesmissbrauchs herausgetreten. Viele Menschen in Deutschland, nicht nur die gläubigen, haben auf ein solches Zeichen gewartet. "Vox ecclasiae" muss "vox populi" sein. Und wenn dies dann auch "vox civitatis" wäre, hätten wir eine tolle, neue Dreifaltigkeit.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de