Für eine Direktwahl des Bundespräsidenten Schluss mit der Kastration!
25.01.2012, 10:36 Uhr
Wer unter dieser Fahne wohnt, ist am Ende seiner politischen Karriere angekommen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten Angst vor einem starken Bundespräsidenten. Statt Macht gaben sie ihm die "Würde des Amtes". Doch der Lack ist längst ab. Wenn der Bundespräsident je wieder Autorität genießen soll, muss er vom Volk gewählt werden. Ein Plädoyer.
Der Wahlkampf wurde zu einer Schlammschlacht. Einem der Kandidaten wurde seine Terror-Vergangenheit vorgehalten, eine andere dementierte, dass ihr Bruder seine Nichte missbraucht hatte. Ein dritter gab zu, als Student Marihuana geraucht zu haben. Der in den Umfragen führende Kandidat landete schließlich nur auf dem zweiten Platz. Vor der Wahl war herausgekommen, dass er in dubiose Finanzgeschäfte verwickelt war.

Der Bundespräsident darf Reden halten. Sich dem Volk zur Wahl stellen darf er nicht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Rede ist von Irland. Der Präsident dieses Landes hat so gut wie keine Befugnisse, er hält Reden, schüttelt Hände und vertritt das Land nach außen. Alles wie in Deutschland. Mit einer Ausnahme: Die Wahl eines Bundespräsidenten ist höchst selten spannend. Entsprechend gering ist das Ansehen des protokollarisch höchsten Amts im Staat.
Die Wahl des Bundespräsidenten ist zu einem politischen Symbol verkommen - könnte man schreiben, wäre es nicht immer schon so gewesen. Bundeskanzler Helmut Kohl soll die Villa Hammerschmidt, den Bonner Dienstsitz des Bundespräsidenten, als "Gruft" bezeichnet haben. Wulffs peinliche Verrenkungen haben nur sichtbar gemacht, wie beschädigt das Amt des Bundespräsidenten ohnehin längst ist.
"Die erforderliche Dignität"
- Der Bundespräsident wird alle 5 Jahre von der Bundesversammlung gewählt.
- Die Bundesversammlung besteht aus allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages sowie einer gleichen Anzahl an Vertretern der Bundesländer, die von den Landtagen gewählt werden.
- Vorschlagsberechtigt ist jedes Mitglied der Bundesversammlung.
- Die Wahl des Bundespräsidenten erfolgt ohne Aussprache und ist geheim.
- Die Wahl findet in bis zu drei (bzw. weiteren) Wahlgängen statt. In den ersten beiden Wahlgängen ist zur Wahl eine absolute Mehrheit der Stimmen erforderlich, im dritten oder ggf. weiteren Wahlgängen reicht die relative Mehrheit.
- Zum Bundespräsidenten wählbar ist jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestag besitzt und das vierzigste Lebensjahr vollendet hat.
- Eine direkte Wiederwahl ist nur einmal zulässig.
Das rhetorische Geschwurbel, in das Politiker schnell fallen, wenn es um den Bundespräsidenten geht, steht in krassem Missverhältnis zur tatsächlichen Bedeutung des Amtes. Das hat, wie so oft in Deutschland, historische Gründe. Noch vor Gründung der Bundesrepublik, noch bevor klar war, ob es einen "Bundespräsidenten" überhaupt geben würde, diskutierten die Väter und Mütter des Grundgesetzes bereits über die "erforderliche Dignität einer solchen Funktion".
Denn die Mitglieder des Parlamentarischen Rats trauten ihren Landsleuten nicht über den Weg, sie bauten so viele Kontrollmechanismen wie möglich ins politische System der Bundesrepublik ein. Sie wollten verhindern, "dass ein Agitator unter Ausnutzung der Not und Missbrauch der emotionalen Kräfte des Volkes auf dem Wege des Plebiszits noch einmal nach der Macht zu greifen versucht", wie es der CDU-Politiker Adolf Süsterhenn im September 1948 bei der zweiten Sitzung des Parlamentarischen Rats formulierte. Das Ergebnis war ein machtpolitisch kastriertes Staatsoberhaupt, in jeder Hinsicht der Gegenentwurf zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik. Bis heute schreibt Artikel 54 des Grundgesetzes vor, dass die Bundesversammlung den Bundespräsidenten "ohne Aussprache" wählt - weniger Wahlkampf geht nicht.
Die Angst, die der Parlamentarische Rat vor den Deutschen hatte, war nachvollziehbar. Und natürlich gibt es bis heute keine Garantie, dass bei Wahlen in Deutschland oder anderswo immer lupenreine Demokraten siegen. Sehr viel größer ist mittlerweile allerdings das Risiko, die Bürger durch Ausschluss von der Politik zu entfremden. Über einen Bahnhof dürfen die Wähler entscheiden, bei der Wahl des Bundespräsidenten nicht? Lächerlich.
Die höchste Würde
Die Vorteile einer Direktwahl liegen auf der Hand. Ein vom Volk gewählter Bundespräsident besäße nicht nur die hohle Autorität seines Amtes, sondern hätte die höchste Würde, die eine Demokratie zu vergeben hat: die Mehrheit der Stimmen. Damit wäre er unabhängig von der Regierung und von den Parteien.
Für die Bundesregierung könnte ein solcher Bundespräsident eine Zumutung werden - vor allem dann, wenn ihr Kandidat unterliegt. Ein relevantes Gegenargument ist dies allerdings nicht: Politiker sollten sich daran gewöhnt haben, dass ihre Entscheidungen pausenlos der öffentlichen Kritik unterzogen werden. Zumal die Direktwahl des Bundespräsidenten gerade für die Bundeskanzlerin einen großen Vorteil hätte: Nie wieder müsste sie sich anhören, einen miesen Kandidaten ausgekungelt zu haben. Denn verantwortlich wäre der Souverän - das Volk.
Eine Direktwahl ist keine Garantie, eine Person für das Amt zu finden, die klug und integer genug ist, dem Land die richtigen Anstöße zu geben. Aber sie ist eine Chance, wahrscheinlich die einzige, die dieses Amt noch hat. Sieger der Wahl in Irland wurde übrigens Michael D. Higgins, ein netter älterer Herr, der als etwas langweilig und sehr integer gilt. Gewählt wurde er, weil er bei der Schlammschlacht der anderen Kandidaten nicht mitmachte. So einfach kann Demokratie sein.
Quelle: ntv.de