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Zwischenruf Seehofers Fehdehandschuh

So richtig scheint kaum einer den Schlachtruf vernommen zu haben, der da am Mittwoch aus dem Landtag in München zu hören war, aber er war deutlich genug. Und nachhaltig: Ministerpräsident Horst Seehofer hat Bayern in seiner ersten Regierungserklärung zum Ausgangspunkt der Wiedergeburt der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland erklärt.

Schließlich befinde sich der Freistaat in seiner schwierigsten Phase seit der Stunde Null, wie er - mit Rücksicht auf manch recht(s)empfindliches Gemüt - die Niederlage des Hitlerfaschismus 1945 umschrieb. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, dass die Erhardtsche Theorie und Praxis in Deutschland tot sind. Das stimmt so nicht: Die Bundesrepublik hat trotz aller gravierenden Probleme immer noch ein dicht geknüpftes soziales Netz. Aber halbtot ist die soziale Marktwirtschaft ganz sicher. So verkündet der CSU-Chef folgerichtig, Spekulationskapitalismus wie Realsozialismus wären gescheitert. Das klingt nach einem "Dritten Weg" oder einer Münchner Räterepublik mit umgekehrten Vorzeichen.

Herz-Jesu-Sozialist

Nun ist Seehofer gewiss kein Kurt Eisner. Aber ein Herz-Jesu-Sozialist allemal, der seine CSU lehren will, die Schlussfolgerungen aus dem neoliberal-volkstümelnden Kurs der vergangenen Jahre zu ziehen. Dazu sind bei weiten noch nicht alle in seiner Partei bereit. Aber der Zwang, die CSU zumindest wieder in die Nähe ihrer einstigen bundespolitischen Bedeutung zu bringen, wird einen Sog auslösen, der die Skeptiker um Joachim Herrmann und Thomas Goppel wie auch die Frankenfraktion unter Günther Beckstein ins Glied zwingen wird. Zur Ankurbelung der Wirtschaft will Seehofer sofort 350 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt lockermachen; die Hauptrolle im Kampf gegen die Krise müsse aber der Bund übernehmen.

Laut stößt er ins Alpenhorn, wenn er an die Adresse der Bundeskanzlerin gerichtet tönt, die Menschen erwarteten mehr als pragmatisches Verhalten. Während Frau Merkel und ihr Adlatus Steinbrück noch zögerlich auf ein mögliches neues Nachdenken nach Silvester über ein zweites Programm verweisen, fordert Seehofer weitere Milliarden. Steuerentlastung jetzt, sagt er, nicht erst nach den Bundestagswahlen im Herbst. Die Karlsruher Entscheidung über die Pendlerpauschale dürfe nicht - wie von Kanzlerin, Finanzminister, aber auch CSU-Wirtschafstressortchef Michael Glos praktiziert - zum Konjunkturprogramm umgedeutet werden, verkündet Seehofer munter und hat tatsächlich die Chuzpe, sein Mittun an der bislang geltenden verfassungswidrigen Regelung vergessen zu machen.

SPD-Fraktionschef Franz Maget malt ein schiefes Bild, wenn er seinen Kontrahenten als Geschenke verteilendes Christkind karikiert. Die Gaben des lieben Kleinen darf einem keiner nehmen. Vieles von dem, was der bayerische Landesvater ankündigt, ist so teuer und mithin unmöglich nun auch wieder nicht. 3000 neue Lehrer sollen her, die Studiengebühr wird nicht abgeschafft, aber wenn mehrere Kinder einer Familie studieren, muss nur eines bezahlen. Und, ganz basisdemokratisch: Die Studenten sollen über die Verwendung der Gebühren mitentscheiden. Da hat aber einer ganz schnell seine eigenen Schlussfolgerungen aus den gern Krawalle genannten Schüler- und Studentenprotesten in Griechenland gezogen. Ein entsprechender Querverweis fehlte denn auch nicht in der 80-minütigen Rede.

Fehdehandschuh für Merkel

Nun wäre Seehofer nicht bavarischer Regierungschef, wenn er nicht ständig eine - nicht nur für Nicht-Bayern - unangenehme Schicksalsgemeinschaft der vier Stämme beschwören, das Besondere an den Bayern hervorheben würde, die hilfsbereiter und weniger eigensüchtig seien als die Menschen jenseits der Weißwurstgrenze. Das ist Folklore, aber auch Programm und wirkt wie ein Spaltpilz in Zeiten, in der der Föderalismus mehr denn je als Instrument der Krisenbewältigung unerlässlich ist.

Es täusche sich niemand: Horst Seehofer hat heute das Visier herunter geklappt und den Fehdehandschuh hingeworfen. Die weiß-blaue Lanze ist auf das Kanzleramt gerichtet.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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