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Zwischenruf Signal der Entkrampfung

Russland und die USA wollen ihre strategischen Offensivwaffen reduzieren und begrenzen. Das ist ein Signal der Entkrampfung der Beziehungen zwischen den weltgrößten Nuklearmächten. Konkrete Vereinbarungen über das Ausmaß gibt es noch nicht. Fest steht aber jetzt schon, dass die Fähigkeit einander zu vernichten bleiben wird. Die Frage ist nicht so sehr der zahlenmäßige Umfang des Kernwaffenpotentials, sondern die Qualität der Waffen. Immer präzisere Trägersysteme ermöglichen beiden Seiten, das Bedrohungspotential auch mit weniger Sprengköpfen aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung widerspiegelt auch ökonomische Zwänge: In der Krise ist keiner daran interessiert, die eigene Wirtschaft über die Maßen mit Militärausgaben zu belasten. Die Sowjetunion tot zu rüsten, war den Vereinigten Staaten gelungen. In einer offenen Welt gegenseitiger Abhängigkeiten würde das Konzept nicht mehr aufgehen.

Signale der Entkrampfung hatte es auch schon zu Zeiten der UdSSR gegeben. 1972 unterzeichneten Leonid Breschnew und Richard Nixon den SALT-Vertrag über die Limitierung ihrer Raketenabwehrsysteme und Interkontinentalraketen. Was nicht verhinderte, dass es im Streit über die Mittelstreckenraketen in Europa Ende der 70er Jahre erneut zu einer gefährlichen Zuspitzung kam. Nun gibt es zwar keinen ideologisch drapierten Kalten Krieg mehr, aber die strategischen Interessen beider Seiten sind im Grundsatz unverändert.

Ungelöste Probleme

Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Filetierung Jugoslawiens, dem so genannten Kosovo-Krieg und im Kaukasus-Konflikt gerieten Moskau und Washington an den Rand einer Konfrontation.
Das Problem des US-Raketenabwehrschirms in Osteuropa bleibt auch nach dem Londoner Treffen zwischen den Präsidenten Barack Obama und Dimitri Medwedew ungelöst. Sollte Obama die Pläne aufgeben, bleibt immer noch die Forderung Polens, US-"Patriot"-Kurzstreckenraketen mit US-Personal im Osten des Landes zu stationieren. Im einst sowjetischen Zentralasien und im Mittleren Osten dauert die Auseinandersetzung um Rohstoffe und Einflusssphären an. Die militärische Rückkehr Russlands nach Lateinamerika ist dem Pentagon mehr als nur Dorn im Auge. Ein NATO-Beitritt Georgiens und die Ukraine bleiben weiter auf der US-Agenda. Die Aufnahme Albaniens und Kroatiens in das Bündnis zeigt, dass der Prozess der Osterweiterung keineswegs beendet ist. Um die Gespräche in der britischen Hauptstadt nicht zu belasten, übte das russische Außenministerium eher verhalten Kritik. Ex-Kremlchef Michail Gorbatschow wird deutlicher: Der Westen habe ihm nach der deutschen Wiedervereinigung versprochen, "dass die NATO sich keinen Zentimeter nach Osten bewegen würde". Westlichen Versprechungen würden die Russen nun nicht mehr trauen. Misstrauen schließt Zusammenarbeit nicht aus. So einigten sich die beiden Staatschefs auf eine engere Kooperation in Sachen Afghanistan: Taliban wie Al-Qaida stören russische wie US-amerikanische Kreise.

Wenn auch die Bomben nach dem Gespräch von Obama und Medwedew weniger werden, bleiben immer noch die Zeitbomben Finanzkrise und Dritte-Welt-Armut. Die könnten sich langfristig gefährlicher erweisen als die Bomben in den Händen zweier Staaten, die wissen, dass sie beide untergehen, wenn sie auch nur eine einzige abschießen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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