Zwischenruf Somalia-Krieg: Der feine Unterschied
18.10.2011, 14:57 UhrKenia ist in Somalia einmarschiert. Das Ziel: Die Zerschlagung der radikalislamischen Al-Schabaab-Milizen, die das Grenzgebiet zwischen den beiden Ländern terrorisieren. Kann die Aktion Erfolg haben? Ist sie vom Völkerrecht gedeckt? Auf jeden Fall dient sie nicht der Sicherung von geostrategischen Interessen wie die Invasionen in Afghanistan und dem Irak.
Mit dem Einmarsch von Kenia in Somalia hat eine neue Runde in dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg am Horn von Afrika begonnen. Im Einsatz sind Bodentruppen, Panzer und Flugzeuge. Offen ist, ob auch die US Air Force teilnimmt, die im nahegelegenen Dschibuti einen Stützpunkt unterhält. Im Völkerrecht nennt man das militärische Eindringen in einen anderen Staat Aggression. Doch Somalia ist kein Staat mehr. Auch die Konstruktion "failed state" (gescheiterter Staat) mag nicht mehr so richtig greifen, denn vom einstigen Staat Somalia ist nichts mehr übrig.
Ist Kenias Vorgehen deshalb völkerrechtskonform? Ein Mandat gibt es weder von den Vereinten Nationen noch von der Afrikanischen Union (AU), der früheren Organisation Afrikanischer Staaten. Kenia beteiligt sich nicht an der AMISOM-Mission der AU.
Kenias Argumente: Der blindwütige Terror der wahhabitischen al-Schabaab-Milizen in dem von ihnen beherrschten Süden des Landes wird zunehmend zu einem ernsten Problem. Hinzu kommt eine dramatische Hungersnot, die auch auf die schwerste Trockenperiode in der Region seit Jahrzehnten zurückzuführen ist. Die Menschen fliehen gen Kenia: Das Flüchtlingslager Dadaab ist mit mehr als einer halben Million Menschen hoffnungslos überfüllt. Al-Schabaab behindert Hilfslieferungen. Die jüngsten Entführungen von vier Ausländerinnen, zwei Mitarbeiterinnen einer Hilfsorganisation und zwei Touristinnen, haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Behörden in Nairobi befürchten nun, dass der Tourismus, eine der wichtigen Einkommensquellen, weiter einbricht. Durch Morde und Raubüberfälle im Lande selbst hat der Fremdenverkehr ohnedem schon gelitten.
Schon Äthiopien ist gescheitert
Die von den USA und der EU ausgehaltene sogenannte Übergangsregierung Somalias, die nicht einmal die gesamte Hauptstadt Mogadischu kontrolliert, verurteilte das kenianische Vorgehen. Nairobi hatte stets versucht, sich aus dem Bürgerkrieg herauszuhalten. Nun will Kenia die Al-Schabaab vernichten. Ob das gelingt, ist zweifelhaft. Schon Äthiopien hatte 2006 mit dem Placet der USA versucht, die radikale Union der Islamischen Gerichte zu zerschlagen. Aus den Resten der Union ist die Al-Schabaab entstanden. Auch die Vereinigten Staaten kapitulierten 1993 vor dem Terror der somalischen Kriegsherren und hinterließen ein bis auf den Tag andauerndes Chaos. Somalia heute gibt einen Vorgeschmack auf den Irak und Afghanistan nach dem vollständigen Abzug der ausländischen Truppen morgen. Kenia geht es im Unterschied zum Westen bei seinem militärischen Engagement nicht um Sicherung geostrategischer Interessen, sondern um Ruhe an seinen Grenzen. Das macht den kleinen, aber feinen Unterschied.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de