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Zwischenruf Sparen ist hier fehl am Platze

Deutschland ist kein kinderfreundliches Land. Eine gern gebrauchte Floskel, wenn es um die Kindestötungen-, misshandlungen und -vernachlässigungen mit Todesfolge geht, die in den vergangenen Jahren ein erschreckendes Ausmaß angenommen haben. Das ist falsch. Richtig ist, dass es bei uns soziale Gruppen gibt, deren prekäre Lage die Entstehung von Kinderfeindlichkeit begünstigt. Das schließt nicht aus, dass auch Kinder besser gestellter Familien betroffen sind. Hier hat es zumeist aber psychisch bedingte Ursachen: "Rache" am früheren Lebenspartner oder Überforderung.

Blanker Unsinn ist die von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm nach dem neunfachen Kindesmord von Brieskow-Finkenheerd aufgestellte These, die Menschen in den neuen Bundesländern seien wegen ihrer vierjahrzehntelangen "Proletarisierung" besonders anfällig für Gewaltanwendung: Der Betonklotz in Hamburg-Jenfeld, in dem die kleine Jessica elend zugrunde ging, sieht ähnlich aus wie der in Schwerin-Lankow, wo das Mädchen Lea-Sophie den Tod fand.

Gleichwohl fällt auf, dass sich die Mehrzahl der Fälle tödlicher Brutalität gegenüber Minderjährigen im Osten ereignet hat. Hier ist die wirtschaftliche Lage vieler Familien besonders dramatisch. Auch sind über lange Zeit gewachsene Strukturen zerbrochen, Neues ist kaum entstanden.

Kindertagesstätten werden häufig als Instrument angesehen, Gewalt gegen Kinder zu verhindern. Davon gibt es in den östlichen Ländern aber weit mehr als im Westen. Es kommt vielmehr darauf an, dass Erziehende auch über die erforderlichen Mittel verfügen, einen Kita-Besuch zu finanzieren.

Die Mittel für Jugend- und Sozialarbeit sind bundesweit in den vergangenen Jahren je nach Region um zehn bis 25 Prozent gekürzt worden. Immer weniger Sozialarbeiter sind für immer größere Gebiete zuständig. In Halle/Saale - zum Beispiel - erwog das Jugendamt, 320 Kinder von Problemfamilien aus Heimen wieder "zurückzuführen", um zwei Millionen Euro einsparen zu können. Proteste verhinderten, dass Schicksale Minderjähriger zu Haushaltsposten wurden. Hier haben Zivilgesellschaft und Nächstenliebe funktioniert. Aber anderswo? Wie kann es sein, will die Deutsche Kinderhilfe Direkt Berlin nach dem grausigen Fund dreier Kinderleichen in Plauen wissen, dass eine Mutter drei Mal schwanger wird, die Kinder nicht mehr da sind und niemand Verdacht schöpft?

Nachbarschaftliche Fürsorge allein reicht nicht. Im Falle von Lea-Sophie hatte das Jugendamt der mecklenburg-vorpommerschen Landeshauptstadt trotz Hinweisen nicht darauf bestanden, das Mädchen zu sehen. Die Familie, in welcher juristischen Form auch immer, ist die kleinste Zelle der Gesellschaft. Privatsphäre ist ein hohes Gut. Wenn aber moralischer Zustand und finanzielle Situation der Eltern ungenügend sind, ist der Staat als Diener und Gerüst der Gesellschaft gefordert. Wer hier den Rotstift ansetzt, spart am Ende seine eigenen Grundlagen weg.

Quelle: ntv.de

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