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Zwischenruf Stuttgart 21: "Frau über Bord!"

Immer weniger Demonstranten bieten dem Bau des Bahnhofs in Stuttgart die Stirn.

Immer weniger Demonstranten bieten dem Bau des Bahnhofs in Stuttgart die Stirn.

(Foto: dapd)

Vorab dies: Die hehren Theorien von breiten Bürgerbewegungen quer durch alle Schichten und Parteipräferenzen haben sich rascher in Luft aufgelöst als ein Luftballon, aus dem die Luft entweicht. Parteien sind in der Demokratie immer noch unersetzbar. Das zeigt sich nicht nur am Stuttgarter Hauptbahnhof, sondern auch an der Puerta del Sol von Madrid, wo die Zehntausenden M-15-Demonstranten ihre Zelte abbrechen.

Aber weiter: Waren es zu Hochzeiten der Proteste gegen "Stuttgart 21" zeitweilig um die zehntausend – wenn nicht mehr – Demonstranten, die ihrem Unmut über den Sinnlosbau lautstark Luft machten, so ist es heute gerade einmal ein um die zwei-bis dreihundert Personen starkes Fähnlein der Aufrechten. Auffallend ist die "Farblosigkeit" der Protestierenden: Noch vor Monaten schien alles in einem grünen Fahnen- und Transparentemeer zu schwimmen. Nun waren es hie und da ein paar wiesenfarbene Flecken.

Ach, ja: Die Barette der Polizisten, welche die Sitzblockade auflösten, waren auch grün. Das Bild ähnelt frappierend jenen der Wendland-Proteste zu Zeiten der Regierungen Schröder/Fischer. Die grüne Spitze bleibt daheim. Man ist ja schließlich Regierung. Damals in Berlin. Jetzt in Stuttgart.

Warum nicht Grün-Schwarz?

Viel hat die Landesregierung aus Grünen und SPD in Baden-Württemberg bislang nicht zustande gebracht. Gut, sie ist ja auch erst seit kurzem im Amt. Aber die Linien sind erkennbar, wie zuvor schon beim historischen Shakehands mit Porsche: Es geht in Richtung superreal. Warum nicht auch mit der CDU, wenn man mit denen grüne Ziele umsetzen kann, hieß es schon vor Jahren hinter vorgehaltener Hand aus dem Ländle. Nun sprechen es Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Parteichef Cem Özdemir offen aus. Das passt der grünen Bundesspitze – vorerst – nicht in den Kram. Renate Künast will schließlich Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Da kann schon ein Augenzwinkern in Richtung der desolaten Hauptstadt-CDU verheerende Folgen haben. Aber es gibt ein Leben nach den Wahlen im Berliner Abgeordnetenhaus und vor den Bundestagswahlen 2013: "Alles leichtern!", sagte der Schiffer des Spreekahns und warf seine Frau über Bord.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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