Zwischenruf "Super Thursday" oder "Super Flop"?
05.05.2011, 13:39 UhrEs ist ein Tag der Entscheidungen in Großbritannien: Wahlen über die Regionalparlamente in Nordirland, Schottland und Wales, Kommunalwahlen in etlichen Landesteilen und eine Abstimmung über ein neues Wahlrecht. Die Urnengänge sind eine gute Gelegenheit, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen.

Die Briten entscheiden über ein neues Wahlsystem.
(Foto: dpa)
Nach dem Ende des königlichen Kasperletheaters am vergangenen Freitag sind die Briten an diesem Donnerstag wieder in der Wirklichkeit angekommen: Die Bevölkerung ächzt unter dem drastischen Sparprogramm der Regierung aus Konservativen und Liberaldemokraten wie Atlas unter der Erdkugel, die Inflation erreicht ein Zwei-Jahres-Hoch und liegt bei 4,4 Prozent, die Arbeitslosigkeit befindet sich auf dem höchsten Stand seit 20 Jahren.
In dieser Situation ist das Interesse am heutigen Wahltag weniger auf die Volksabstimmung über ein neues Wahlsystem gerichtet, denn vielmehr auf die gleichzeitig stattfindenden Wahlen zu den Regionalparlamenten von Nordirland, Schottland und Wales sowie die Kommunalwahlen in einigen Teilen Englands. Davon profitieren wird voraussichtlich vor allem die oppositionelle Labour Party; in Schottland dürfte die nach Unabhängigkeit strebende Scottish National Party die meisten jener Stimmen auffangen, die Tories und Libdems verlieren. In jedem Fall sind die Urnengänge gute Gelegenheiten, der Regierung einen Denkzettel, wenn nicht eine kräftige Backpfeife zu verpassen.
Beim Referendum über ein verändertes Wahlrecht ist nicht so recht klar, wem eine Schelte an den Urnen gelten könnte. Die Konservativen wollen das alte System beibehalten, in dem der Kandidat mit den meisten Stimmen den Parlamentssitz erhält, selbst wenn er weniger als 50 Prozent der Voten auf sich vereinigt. Die Liberaldemokraten wollen die Veränderung, weil die bisherige Regelung eindeutig die großen Parteien begünstigt. So konnten sowohl Labour als auch Tories mit einer relativen Stimmenmehrheit die absolute Majorität der Sitze im Unterhaus erringen. Der neue Gesetzentwurf, welchen die Partei von Vizepremier Nick Clegg dem Partner unter Premier David Cameron nach langem Hin und Her abgerungen hat, ist derart verschwurbelt, dass viele das Papier gar nicht verstehen. Unter dem Strich aber hätten kleinere politische Gruppierungen bessere Chancen als bisher. Die Sozialdemokraten von Labour sind gespalten: Parteichef Ed Milliband ist für, einige Parteigranden und sogar einzelne Gewerkschaften sind gegen ein neues Gesetz. Zudem dürfte die Wahlbeteiligung vergleichsweise gering sein.
So wird der zum "Super Thursday" stilisierte Donnerstag wohl mit einem Votum für die Beibehaltung des traditionellen Wahlgesetzes enden. Beobachter fragen sich, ob die Koalition aus Gegnern und Befürwortern angesichts der absehbaren Verluste bei den Regional- und Kommunalwahlen hält. Die Beziehungen sind schon bis zum Zerreißen gespannt: Cameron und Clegg beharkten sich jüngst auf einer Kabinettssitzung in einer Weise, wie es zuletzt wohl nur zwischen dem Aufrührer Oliver Cromwell und König Charles I. während der englischen Revolution im 17. Jahrhundert der Fall war. Was bekanntlich mit der Enthauptung des Monarchen endete. Cameron und Clegg aber sind als Koalitionäre aufeinander angewiesen. Da kann und will der eine den anderen nicht vom Throne stürzen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de