Zwischenruf Ungleiche Knappen, ungleiche Brüder?
16.02.2009, 21:34 UhrHugo Chvez Fras Projekt des Sozialismus des XI. Jahrhunderts ist einen weiteren Schritt vorangekommen. 54 Prozent der venezolanischen Wähler votierten in einem Referendum dafür, dass sich der Präsident unbegrenzt der Wiederwahl stellen kann. Das ist bei einer Wahlbeteiligung von knapp über 67 Prozent ein klares Ergebnis. Die oppositionelle Nichtregierungsorganisation Smate berichtet von 1.966 Problemen, die meisten technischer Natur, in 42 Fällen sei es zu Gewalt oder Nötigung gekommen. In prowestlichen Ländern wie der Türkei oder Ägypten gibt es weitaus mehr Brutalität an den Urnen. Vorwürfe von Wahlfälschung gibt es bislang nicht. Der erste Versuch, die Amtszeit von Chvez unbegrenzt zu verlängern, scheiterte 2007.
Wenn er und seine Anhänger es gewollt hätten, hätten sie damals schon zur "falsificacin greifen können. 2002 ergab eine Untersuchung der nach dem einstigen US-Präsidenten James Carter benannten und von diesem geleiteten Demokratie-Center, dass die Wahlen korrekt verliefen. Wahlbeobachter der EU erklärten 2006, dass die Präsidentenwahlen korrekt über die Bühne gegangen waren. Für sich spricht auch, dass die Opposition bei den Regionalwahlen im November vergangenen Jahres in fünf der insgesamt 23 Bundesstaaten den Sieg davontragen konnte. Besagte Staaten gehören nebenbei bemerkt - zu den rohstoffreichsten.
Ein demokratisches Ergebnis bei der Volksabstimmung mithin, das gleichwohl Gefahren für die Demokratie in sich birgt.
Chvez hatte 1992 zunächst versucht, die bürgerliche Regierung mit Gewalt zu stürzen; der Coup dtat scheiterte. Seit seiner ersten Wahl zum Staatschef 1999 hat er sich stets mit den Mitteln der parlamentarischen Demokratie im Amt bestätigen lassen. Seine Gegner versuchten 2002, ihn mit Gewalt und Unterstützung der USA zu Fall zu bringen. Auch der Putsch misslang, weil die Mehrheit von Armee und Bevölkerung hinter dem "presidente stand.
Umverteilung in Lateinamerika
Der Erfolg von Chvez ist darauf zurückzuführen, dass er als erster versucht, die Erlöse des Erdölreichtums auch den armen Schichten zukommen zu lassen. Die soziale Lage der Unterprivilegierten hat sich spürbar verbessert. Darum stimmen sie für ihn und nicht für jene, die ihnen die Teilhabe am Wohlstand verweigerten. Aus den gleichen Gründen sprachen sich die meisten Bolivianer jüngst für Evo Morales Verfassungsänderung aus; bei den Wahlen in Ecuador Ende April wird ein ähnliches Resultat für dessen Präsident Rafael Correa erwartet.
Chvez Venezuela steht an der Spitze einer Reihe von lateinamerikanischen Staaten, die versuchen, bei sich zuhause mehr Gerechtigkeit durchzusetzen. Neben den sozialistisch regierten Venezolanern, Kubanern, Bolivianern, Ecuadorianern und Nikaraguanern haben sich das sozialdemokratische Honduras und die karibische Inselrepublik Dominica dem EU-ähnlichen Wirtschaftsverbund ALBA angeschlossen.
Verbindung zu Obama
Dass dies den USA nicht gefällt, ist unverständlich. Auch nach der Amtsübernahme von Barack Obama wird Venezuela als Feind Nummer 1 in der Region betrachtet. Der neue US-Präsident hat sich aber verbal ebenso wie Chvez dafür ausgesprochen, seinen Bürgerinnen und Bürgern zu mehr Wohlstand zu verhelfen.
Der Unterschied zwischen Obama und Chvez besteht darin, das sich ersterer nur einmal wiederwählen lassen kann. In der unbeschränkten Wiederwählbarkeit des venezolanischen Präsidenten liegt die Gefahr für die venezolanische Demokratie. Die Gefahr für die US-amerikanische Demokratie liegt in der Wiederholbarkeit der gegenwärtigen Finanzkrise auf noch höherer Stufe. Die beiden Präsidenten sollten sich recht bald treffen, um sich darüber zu einigen, wie die eine und die andere Gefahr ausgeräumt werden können.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de