Zwischenruf Uribes verzweifelter Sieg
04.07.2008, 15:10 UhrIngrid Betancourt ist frei. Das ist, um Argentiniens Staatspräsidentin Cristina Fernndez zu zitieren, „ein Sieg des Lebens und der Freiheit“. Ein Problem Kolumbiens ist damit gelöst. Aber das Schicksal der grünen Ex-Präsidentschaftsanwärterin ist beileibe nicht das einzige und vor allem nicht das zentrale Problem des Landes. Der Staat, dreimal so groß wie Deutschland, kann zwar auf ein Wirtschaftswachstum von 4,6 Prozent verweisen, der UN-Entwicklungsorganisation UNDP zufolge leben jedoch 17 der insgesamt knapp 42 Millionen Kolumbianer in Armut, sechs Millionen im Elend.
Präsident Alvaro Uribe steht nicht gerade für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel meint. Der Oberste Gerichtshof, der für die Anklagen gegen Politiker mit Verbindungen zu den rechtsgerichteten Paramilitärs zuständig ist, wurde wiederholt von Uribe eingeschüchtert. Unter den Angeklagten befinden sich auch engste Vertraute des Staatschefs. Als dieser Mitte der neunziger Jahre Gouverneur der Provinz Antioquia war, förderte er die Bildung privater Milizgruppen, die später in den Todesschwadronen der Paramilitärs aufgingen. Uribe hat die Auflösung eines Teils der Paramilitärs erreicht. Doch seit er anlässlich ersten Wahl 2002 im Unterschied zu seinem Amtsvorgänger Andrs Pastrana den militärischen Kampf gegen die linke Guerilla aus FARC und ELN zum wichtigsten innenpolitischen Ziel erklärte, machte er die Paras überflüssig. Die Verbindungen zwischen diesen und der Armee sind zudem ein offenes Geheimnis.
Uribe brauchte dringend Sieg
Der Coup bei der Befreiung von Ingrid Betancourt ist ein von Uribe dringend benötigter Sieg, um von den Verbindungen zu den Paras abzulenken. Zum Zeitpunkt der Aktion verhandelten ein französischer und ein Schweizer Diplomat im Auftrag ihrer Regierungen und mit Zustimmung Uribes mit dem neuen FARC-Chef Alfonso Cano über eine Befreiung. Mit der Militäraktion, bei der es logistische Hilfe aus den USA gab, desavouierte Uribe vor allem seinen französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy, der innenpolitisch gleichfalls dringend einen Erfolg brauchte. Es ist bezeichnend, dass Ingrid Betancourt nach Paris zu Sarkozy fliegt und sich nicht in Bogot mit Uribe auf eine Tribüne stellt.
Franko-schweizerische Kontakte hatte es auch schon gegeben, als die kolumbianische Armee im März ein FARC-Lager im benachbarten Ecuador bombardierte und dabei deren damalige Nummer zwei Ral Reyes tötete. Die FARC stellte daraufhin die Vorbereitungen für die Freilassung ein. Die Hubschrauber-Aktion macht zudem vergessen, dass die mit Betancourt entführte Wahlkampfleiterin der Ex-Kandidatin bereits Anfang des Jahres auf Vermittlung von Venezuelas Präsident Hugo Chvez und der liberalen kolumbianischen Politikerin Piedad Crdoba freikam. Eine weitere politische Lösung hätte Uribe jenes erwähnten Erfolges beraubt.
Jeanne d'Arc Kolumbiens
Der Fall Betancourt hat noch einmal mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass Entführungen unmenschlich und kein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele sind. Die Guerilla, insbesondere die FARC, hat eine schwere Niederlage erlitten. Sie wird sich überlegen müssen, ob sie den bewaffneten Kampf einstellt. Selbst Politiker, die ihr wohlwollend gegenüberstehen wie Venezuelas Chvez und Kubas Altpräsident Fidel Castro, haben der FARC geraten die Waffen niederzulegen. Die ELN steht ohnehin in – freilich immer wieder stockenden – Verhandlungen mit Bogot.
Ingrid Betancourt schließt eine erneute Kandidatur für das höchste Staatsamt nicht aus. Sie wird zu Recht die Jeanne d’Arc Kolumbiens genannt. Einst war sie angetreten, um mit der Korruption und den Verquickungen des Staates mit Paramilitärs und Drogenmafia aufzuräumen. Macht sie ihre Ankündigung 2010 wahr, könnte Uribe leicht zum Bischof von Beauvais werden.
Quelle: ntv.de