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Zwischenruf Warme Stube oder aufgeheiztes Klima?

Der so genannte Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine nimmt allmählich groteske Züge an. Mündliche Absprachen zwischen den Ministerpräsidenten Wladimir Putin und Julia Timoschenko erklärte Moskau für nicht verbindlich; die unterschriebene Kopie der neuen, schriftlich fixierten Übereinkunft blieb in einer Kiewer Schublade liegen, statt nach Moskau geschickt zu werden; dann fügte die Ukraine einseitig einen Annex hinzu, der praktisch einem Freispruch von den Moskauer Vorwürfen gleichkam: die Ukraine sei ein sicheres Transitland, illegale Gasentnahmen habe es nie gegeben. Dabei hatte das ukrainische Energieministerium selbst eingeräumt, 21 Millionen Kubikmeter "aus technischen Gründen" abgezweigt zu haben. Daraufhin weigerte sich Russland, wieder Gas zu liefern, dann nahm Kiew den Zusatz zurück. Nun warten alle darauf, dass wieder Gas wieder strömt.

Eine gemischte Kommission aus Vertretern Russlands, der Ukraine, der EU und westeuropäischer Gaskonzerne soll überwachen, wie viel wo in ukrainische Leitungen eingespeist wird und was am Ende nach Mittel- und Südost- sowie Westeuropa gelangt. Es bietet sich förmlich an, dass die Kontrolleure je nach Herkunft zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und der Streit zusätzliche Nahrung erhält. Ob es dazu kommt, hängt vom politischen Willen Moskaus und Kiews ab. Schon jetzt mäkelt der ukrainische Vizepremier Hrihorij Nemirija, einige der mitkontrollierenden Konzerne hätten zu enge Bindungen an den russischen Riesen Gazprom. Aus der Präsidialkanzlei von Timoschenkos Gegenspieler Viktor Juschtschenko verlautet, die Regierungschefin habe sich in dem Konflikt als "Verbündete des Kreml" erwiesen.

Der Gasstreit geht also weiter. Geklärt scheint lediglich die Durchleitung von russischem Gas über ukrainische Pipelines. Die Lieferungen für die Ukraine selbst sind unverändert offen. Fraglich ist, ob Kiew in der Lage ist den von Moskau geforderten höheren Preis zu zahlen. Die Ukraine ist von der Krise schwer betroffen. Moskau aber auch, denn sein wieder gewonnenes internationales Gewicht stützt sich auf hohe Rohstoffpreise. Fein raus ist Weißrussland, das sich tatsächlich als sicheres Transitland erweist. Wenn Julia Timoschenko die Präsidentenwahlen in einem Jahr gewinnt und sich als ebenso treue Lehnsfrau Moskaus erweist wie Alexander Lukaschenko in Minsk als Lehnsmann, dann braucht sich die EU künftig keine Gedanken mehr zu machen. Keinen Gedanken zu verschwenden braucht Brüssel dann auch nicht mehr an eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Union oder gar der NATO. Vor dem Urnengang liegt aber ein weiterer Winter. Ein warme Stube oder ein aufgeheiztes Klima in Europa, das ist dann die Frage.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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