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Contra Atomkraft Wir müssen jetzt aussteigen

Das Festhalten an der Atomkraft als Energiequelle ist nicht nur gefährlich, sondern verfassungswidrig, weil die Reaktoren nicht mehr die heutigen Sicherheitsstandards erfüllen. Und wenn Deutschland alle 17 Kernkraftwerke abschaltet, wird nirgends ein Licht ausgehen. Erneuerbare Energien sorgen zudem für "Strom in Bürgerhand". Ein Contra für Kernkraft in Deutschland, das Pro finden Sie hier.

Block A soll vom Netz: Das AKW Biblis.

Block A soll vom Netz: Das AKW Biblis.

(Foto: dapd)

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima führt uns nach Tschernobyl erneut vor Augen, dass Atomkraftwerke nicht sicher beherrscht werden können. Darüber hinaus hat es in den vergangenen Jahren mehrere andere kritische Situationen gegeben, die nach Einschätzung von Fachleuten leicht in einen Kernschmelzunfall hätten münden können. Beispielsweise ist in den USA ein Reaktordruckbehälter nahezu "durchgerostet".

Alle deutschen Reaktortypen weisen eine erhebliche Anzahl gravierender Sicherheitsmängel auf. Es ist ein weitgehend unbekannter Skandal, dass die Atombehörden von den Betreibern die Beherrschbarkeit einer Kernschmelze nicht zur Grundlage der Kraftwerksbetriebsgenehmigungen machen.

Nicht auf der Höhe der Zeit

Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW klagt auf Stilllegung von Biblis B und hat viele Dutzend schwerwiegende Sicherheitsmängel dokumentiert, die praktisch alle Sicherheitssysteme betreffen. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit, wichtigste Gutachterorganisation der Bundesatomaufsicht, stellte ausgerechnet bei den "neuesten" in Deutschland errichteten "Konvoianlagen" bemerkenswerte Schwachstellen fest: Die nachgerüsteten "Notfallmaßnahmen", die eine Kernschmelze quasi im letzten Moment verhindern sollen, funktionieren bei bestimmten Unfallszenarien erwartungsgemäß nicht.

Unsicher und verfassungswidrig? Die Meiler von Neckarwestheim.

Unsicher und verfassungswidrig? Die Meiler von Neckarwestheim.

(Foto: dapd)

Die Atomkraftwerke sind nicht sicher und entsprechen nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik. Die hessische Atombehörde räumte offiziell ein, dass das Atomkraftwerk Biblis "selbstverständlich" nicht mehr dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entspricht.

Der Stand von Wissenschaft und Technik ist aber der zentrale Sicherheitsmaßstab gemäß Atomgesetz, der natürlich zu erfüllen ist. Entsprechen Atomkraftwerke dem nicht mehr, dann sieht das Atomgesetz den Widerruf, also die endgültige Stilllegung vor. Der Betrieb der deutschen Atomkraftwerke ist also atomrechts- und verfassungswidrig.

Atomstrom ist verzichtbar

Die endgültige Stilllegung der deutschen Atomkraftwerke ist möglich: Der maximale Stromverbrauch in Deutschland liegt bei rund 80 Gigawatt. Vorhandene konventionelle Kraftwerke können gut 70 Gigawatt liefern und die Wasserkraftwerke gut 10 Gigawatt, ergibt zusammengenommen 80 Gigawatt. Die inzwischen ganz erhebliche Stromproduktion aus Windenergie, Photovoltaik und Biomasse ist da noch gar nicht mitgerechnet. Kein Licht geht nach der Stilllegung der 17 deutschen Atommeiler aus.

Reinhold Thiel. Der Facharzt für Allgemeinmedizin ist seit Jahren beim IPPNW aktiv.

Reinhold Thiel. Der Facharzt für Allgemeinmedizin ist seit Jahren beim IPPNW aktiv.

(Foto: IPPNW)

Abgesehen von den Sicherheitsgründen und den Risiken für die Gesundheit müssen die deutschen Atomkraftwerke auch deswegen dringend stillgelegt werden, weil sie die Stromnetze verstopfen. Die erneuerbaren Energien erzeugen zeitweise schon mehr Strom als die Atomkraftwerke. Die Atomkraftwerke müssen den Weg in den Stromnetzen frei machen. Die Erneuerbaren können zügig den Strom aus den konventionellen Kraftwerken ersetzen.

Das Geschäft mit den dezentralen erneuerbaren Energien machen übrigens nicht die großen Energiekonzerne. Bürgerinnen und Bürger, Hausbesitzer, Landwirte, Kommunen, kleinere und mittelständische Unternehmen profitieren davon. Kommunen, die heute schon stark auf Erneuerbare setzen, schreiben schwarze Zahlen. Kommunen, die auf ihrem "Territorium" die Atomkonzerne den Strom verkaufen lassen, beklagen sich notorisch über ihr Haushaltsdefizit.

Kosten müssen nicht steigen

Die Einspeisung von Solarstrom zur Mittagszeit ersetzt schon heute in ganz erheblichem Umfang überteuerten Spitzenlaststrom aus konventionellen Kraftwerken. Das senkt in ganz erheblichem Umfang die Strompreise an den Börsen. Dass die Strompreise für die Bevölkerung ständig steigen, liegt allein daran, dass die Stromkonzerne die Preissenkungen durch die Photovoltaik nicht an die Stromkunden weitergeben. Das ist ebenso skandalös wie rechtswidrig.

Windstrom ist bereits günstig und Photovoltaik-Strom wird immer günstiger. Durch den Atomausstieg wird es zu keinem Anstieg der Strompreise kommen, wenn die Mechanismen der Preisbildung endlich korrigiert werden, die derzeit nur dazu dienen, den Atomkonzernen die Milliarden in die Kassen zu spülen.

Ernergie in Bürgerhand

Die desaströse Politik der Bundesregierung, aber auch in vielen Ländern und Kommunen, muss dringend korrigiert werden. Neben dem Atomausstieg müssen die Erneuerbaren offensiv gefördert werden: Aufhebung der Genehmigungsblockaden bei der Windenergie, Begrenzung des Stromnetzausbaus durch die Errichtung von Windenergieanlagen in der Nähe der Stromverbraucher, zeitlich befristete Erhöhung der Einspeisevergütung für die Photovoltaik zur Beschleunigung ihres Ausbaus, Anreize zum massiven Ausbau dezentraler Stromspeicher bei den Endverbrauchern.

Mit derartigen Maßnahmen können wir kurzfristig voll auf Strom aus erneuerbaren Energien "in Bürgerhand" umsteigen. Die Bevölkerung könnte zudem mit geeigneten Kampagnen über die Massenmedien zum Energiesparen motiviert werden. Zum Beispiel: Durch das richtige Abschalten von Stand-By-Geräten lässt sich in der Summe der Strom aus einem ganzen Atommeiler ersetzen.

Wir müssen jetzt unumkehrbar aus der Atomenergie aussteigen.

Quelle: ntv.de

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