Zwischenruf Zank unter Brüdern
22.06.2010, 14:40 Uhr
(Foto: dpa)
Der Streit zwischen Moskau und Minsk geht in eine weitere Runde. Immer mehr ist Weißrussland dem Kreml ein Dorn im Auge, Streitpunkte gibt es mehr als genug.
Mit der abermaligen Drosselung russischer Gaslieferung geht der latente Konflikt zwischen Russland und Weißrussland in eine neue Runde. Nach der Normalisierung der Beziehungen zur Ukraine im Gefolge des Siegs von Viktor Janukowitsch bei den Präsidentenwahlen empfindet der Kreml die kleinste der slawischen Ex-Sowjetrepubliken immer mehr als Dorn im Auge. Hintergrund sind Bestrebungen von Staatspräsident Alexander Lukaschenko, sein Land vorsichtig aus der wirtschaftlichen und politischen Umarmung des großen Bruders zu lösen.
Formal sind beide Länder in einem "Unionsstaat" verbunden, der praktisch aber weitestgehend auf dem Papier besteht. Nachdem Minsk sich vor Jahresfrist dem EU-Programm für östliche Partnerschaft anschloss, gingen die russischen Hilfszahlungen zurück. Bei der von Lukaschenko angekündigten schrittweisen Privatisierung der überwiegend staatlichen Industrie sucht dieser Partner bei Rothschild und nicht bei der Sberbank. Während Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin der neuen Führung Kirgisistans unter Rosa Otunbajewa seine Unterstützung zusicherte, bot Lukaschenko dem gestürzten Kurmanbek Bakijew Asyl und Propagandatribüne. Nachdem kürzlich eine Zollunion unter Einschluss Kasachstans am Widerstand Weißrusslands scheiterte, war das Fass aus russischer Sicht übergelaufen.
Russischerseits ist der Präsident der Hauptakteur. Dimitri Medwedews bisweilen zynisches Auftreten gegenüber Minsk dürfte Kremlastrologen, die in ihm einen pragmatischen Gegenspieler zum "Hardliner" Putin sahen, endgültig widerlegt haben. Lukaschenko will sich Anfang nächsten Jahres, spätestens aber 2012 im Amt bestätigen lassen. Ein ernstzunehmender, moskaufreundlicher Gegenkandidat ist nicht in Sicht. Es wäre auch nicht einfach, Lukaschenko vom Thron zu stoßen. Im Gegensatz zum Klischee des verhassten Potentaten, der aber fest im Sattel sitzt, kann sich der frühere Grenzer und Kolchosdirektor durchaus auf Sympathien beachtlicher Bevölkerungsteile stützen. Dazu trägt nicht zuletzt eine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nach staatsozialistischem Vorbild bei. Doch für die braucht er die russische Unterstützung.
So wird der Streit eher über kurz als über lang mit der Zahlung der weißrussischen Schulden an Gazprom enden. So oft von Moskau beschworene slawische Bruderschaft ist das nicht, sondern offene Machtpolitik, mit der Medwedew weder im "nahen" noch im fernen Ausland Sympathien gewinnt.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de