Zwischenruf Zeichen und Wunder im Wahlkampf
17.09.2009, 14:08 UhrEs geschehen jetzunder so mancherlei seltsam zeichen und wunder.
1. Sonst können sich Spitzenpolitiker kaum einkriegen, um vor Fernsehkameras ihre Botschaften zu verkünden. Nun macht einer nach dem anderen einen Rückzieher. Angela Merkel fürchtet offensichtlich eine neuerliche Konfrontation mit Frank-Walter Steinmeier, der im „TV-Duell“ am Sonntagabend punkten konnte. Steinmeier will wohl nicht in die „Berliner Runde“ des ZDF, weil er sich dann den drei wortgewandten Oppositionspolitikern stellen müsste, die tags darauf zeigten, wie Fernsehwahlkampf zum Gernsehwahlkampf werden kann. Steinmeiers Argument, er wolle nicht mit dem Landespolitiker Christian Wulff diskutieren, der gar nicht zu den Bundestagswahlen antrete, überzeugt nicht. Wulff ist immerhin stellvertretender CDU-Chef. Und SPD-Vize Matthias Platzeck war auf brandenburgischen Kommunalwahlplakaten zu sehen, obwohl er seinen Ministerpräsidentensessel in Potsdam ganz sicher nicht gegen den Bürgermeisterstuhl in Brieskow-Finkenheerd eintauschen wollte. Wenn das ZDF die Runde dann aber ganz absagt, entspricht die Anstalt faktisch den Interessen der beiden Neinsager.
2. In der bereits Mitte September erschienenen (!) Oktoberausgabe des sozialdemokratischen "Vorwärts" werden – neben anderen – drei Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften mit Foto als Unterstützer von Steinmeier geführt, obwohl diese sich einer Wahlempfehlung für die Sozialdemokraten entzogen hatten. Michael Sommer, Vorsitzender des DGB, spricht von einer „unzulässigen Vereinnahmung“. Das Argument von Chefredakteur Uwe-Karsten Heye, das Ganze sei durch ein Missverständnis entstanden, wirkt hilflos. Besonders, wenn es aus dem Munde eines früheren Redenschreibers von Willy Brandt und Ex-Regierungssprechers von Gerhard Schröder kommt.
3. Sich mit fremden Federn zu schmücken, mag einem nackten Huhn gut zu Gesicht stehen. Wenn’s eine Partei tut, macht sie’s ähnlich wie die Versicherungsgesellschaft, bei der erst das Kleingedruckte die Wahrheit an den Tag bringt. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner und ihr Kollege aus dem Bundeswirtschaftsministerium Karl-Theodor zu Guttenberg tauchen auf Riesenwahlplakaten mit dem CDU-Logo auf - dabei will die CSU, unabhängig von der großen Schwester, mit einem eignen wirtschaftspolitischen Programm antreten. Erst wenn der Autofahrer auf Berlins Hauptstraßen anhält, den Verkehr zum Erliegen bringt, um mit dem Fernglas links unten den Hinweis auf deren CSU-Mitgliedschaft zu entziffern, merkt er, dass er gelinkt wurde.
4. Als Bundesforschungsministerin Anette Schavan zunächst das inzwischen im WWW veröffentlichte „Konzept für ein integriertes Energieforschungsprogramm für Deutschland“ unter Verschluss hielt, handelte sie aus zwei Gründen unredlich. Erstens befürchtete sie bundespolitische Erklärungszwänge im Wahlkampf wegen des darin erwogenen „Wiedereinstiegs Deutschlands in die Entwicklung von Kernkraftwerken“. Und zweitens verfügt ihr Ulm-Alb-Donau-Wahlkreis über ausgezeichnete Tonsteinformationen, die in dem Papier als Alternative zur Endlagerung von Atommüll in Steinsalzformationen genannt werden.
Frei nach einem uralten deutschen Volkslied: Mit wunder jetzunder man sehen kann recht wie mancher verachtet das wählergeschlecht.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de