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Die erzwungene Wahlrechtsreform Zu mutlos für den großen Wurf

Bei der Bundestagswahl gibt es zwei Stimmen - und wahrscheinlich wird das auch so bleiben.

Bei der Bundestagswahl gibt es zwei Stimmen - und wahrscheinlich wird das auch so bleiben.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Abgeordneten des Bundestages versuchen, mit möglichst kleinen Änderungen am System den Vorgaben der Verfassungsrichter gerecht zu werden. Dabei täte eine große Reform der Demokratie gut. Dazu müssten aber nicht die Gewählten die Reform gestalten - sondern die Wähler.

Das Wahlrechtsurteil des Bundesverfassungsgerichts könnte Anlass sein, das extrem komplizierte Wahlsystem für den Deutschen Bundestag durch ein einfaches und verständliches zu ersetzen. Leider fehlt den Abgeordneten dazu der Mut - und die Bereitschaft, etwas von ihrer Macht anzugeben.

CDU/CSU und FDP äußern sich bislang nicht dazu, wie sie die Vorgaben des Verfassungsgerichtes umsetzen wollen. Aktuell steht zur Überarbeitung nur der Vorschlag der SPD im Raum. Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte: "Wir werden mit dem Vorschlag, alle Überhangmandate auszugleichen, in die Verhandlungen gehen." Das bedeutet, dass sich der Bundestag vergrößert und die Überhangmandate bestehen bleiben. Eine grundsätzliche Änderung ist es also nicht.

Das ist schade, denn eine Vergrößerung des Bundestages kostet viel Geld und löst das größte Problem nicht: Kaum jemand versteht die Regeln bis ins Letzte. Viele wissen nicht einmal, warum sie bei der Wahl zwei Kreuze machen sollen. Es gäbe Alternativen:

  • Die Erststimme könnte abgeschafft werden: Damit gäbe es keine direkt gewählten Kandidaten und darum auch keine Überhangmandate mehr. Allerdings wäre nicht mehr sichergestellt, dass aus jedem Wahlkreis ein Bundestagsabgeordneter entsandt wird, der als Ansprechpartner seinen Wählern vor Ort zur Verfügung steht.
     
  • Die Zweitstimme könnte abgeschafft werden: Im Bundestag säßen damit nur die Politiker, die in ihrem Wahlkreis die Mehrheit erzielen. Das wäre eine radikale Änderung, das System funktioniert aber in vielen Staaten wie Großbritannien und den USA. Die kleinen Parteien würden stark benachteiligt, vielleicht sogar ganz verschwinden. Stattdessen würden sich die großen Parteien verstärkt um die Themen bemühen, die jetzt von kleinen Parteien besetzt werden. Für die Zusammensetzung des Bundestages wäre dadurch nicht mehr der Stimmenanteil, sondern die Zahl der Wahlkreise mit Stimmenmehrheit entscheidend.
     
  • Erst- und Zweitstimme könnten zu einer Stimme verschmolzen werden. Die Wähler würden mit nur einem Kreuz gleichzeitig über Sitzverteilung im Bundestag und über ihren Wahlkreisabgeordneten entscheiden. Überhangmandate wären zwar weiter möglich, aber es gäbe weniger davon. Die derzeitigen direkt gewählten Abgeordneten würden teils geschwächt, teils gestärkt - je nachdem, ob sie beliebter oder unbeliebter als ihre eigene Partei sind.

Eine solche Reform, die das Wahlrecht einfach, verständlich und damit auch gerechter macht, wird es nicht geben. Denn kein Mächtiger möchte sich selbst entmachten. Letztlich liegt der Fehler im System: Die Volksvertreter entscheiden selber über ihre Arbeitsbedingungen, nämlich um die Chance, den Beruf weiter ausüben zu können. Kaum ein Abgeordneter wird es übers Herz bringen, einem Wahlrecht zuzustimmen, das seine eigene Wiederwahl unwahrscheinlicher macht.

Für eine echte, große Reform braucht es eine Volksabstimmung. Nach welchen Regeln die Bürger ihre Vertreter wählen, sollten nicht die Vertreter, sondern die Bürger bestimmen.

Quelle: ntv.de

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