Zwischenruf Zwei, die den Mond stehlen wollen
21.06.2010, 14:08 Uhr
Wer wird Polens neuer Präsident: Bronislaw Komorowski (l) oder Jaroslaw Kaczynski?
(Foto: dpa)
Komorowski hat die Mehrheit der Polen hinter sich, aber nicht die absolute. Gewinnt er die Stichwahl gegen Kaczynski? Die besseren Chancen hat er.
Der Ausgang der ersten Runde der Präsidentenwahlen in Polen entspricht den Vorhersagen nur bedingt: Bronislaw Komorowski war der erste Platz stets sicher. Aber kaum jemand hatte mit damit gerechnet, dass der Abstand zu Jaroslaw Kaczynski derart gering ausfallen würde.
Dies ist auf die vergleichweise hohe Wahlbeteiligung von knapp 55 Prozent zurückzuführen, die sich in den Jahren zuvor um die 40 Prozent bewegt hatte: Kaczynski ist es gelungen, die national-konservative und stramm katholische Stammwählerschaft seiner Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) zu mobilisieren. Die Linke scheint aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und wird nun zum berühmten Zünglein an der Waage.
Kaczynski hat es schwer gegen Komorowski
Trotz der Hinwendung Kaczynskis zu sozialen Themen scheint die Mehrheit der Wähler des Kandidaten der Union der Demokratischen Linken (SLD), Grzegorz Napieralski, eher dem liberal-konservativen Komorowski zugetan. Wenngleich der Bruder des jüngst bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen Staatschefs Lech seine Aggressivität zügelte: Von seinen nationalistisch-rechtskatholischen Vorstellungen ist Jaroslaw nie abgegangen. So ist – zum Beispiel – die Gleichberechtigung der Frau dem Unverheirateten kaum ein Thema. Mit seinem Zwillingsbruder einst beliebter Kinderdarsteller in dem Film "O dwoch takich, co ukradli ksiezyc", "Von zweien, die Mond stahlen", dürfte es ihm kaum gelingen, Komorowski die Mehrheit Anhänger der gern als "Post-Kommune" titulierten SLD abspenstig zu machen. Eben dies war Lech Kaczynski 2005 noch gelungen.
Komorowski hingegen ist mit seinen liberalen, pro-europäischen und auf den Ausgleich mit Russland ausgerichteten Positionen für eine breitere Masse der polnischen Wähler akzeptabel. Kaczynski hat sich in den Beziehungen zu Brüssel wie zu Moskau, aber auch Berlin, bislang eher als Quertreiber vom Dienst einen Namen gemacht. Polen, das in fünf Jahren den Euro einführen will, wird unter Komorowski bemüht sein, die Beziehungen zu Deutschland weiter zu entkrampfen. Dieser Prozess war bereits von Ministerpräsident Donald Tusk, eingeleitet worden.
Polen wollen Einheit
Die Mehrheit der Polen ist zudem daran interessiert, dass Innen- wie Außenpolitik nicht mehr von zwei widerstrebenden Machtzentren bestimmt werden. Komorowski gehört wie Tusk der Bürgerplattform an. Ihm könnte der "Stimmendiebstahl" bei der SLD eher gelingen als seinem Gegenspieler. Am 4. Juli entscheiden die Polen bei der Stichwahl, wer den Mond mit nach Hause nimmt. Wundern werden sie sich aber spätestens dann, wenn das wirtschaftsliberale Gespann Komorowski-Tusk ihnen das Geld aus der Tasche zieht.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de