Das perpetuierte Provisorium Zwischenruf
03.02.2007, 16:10 UhrVon Manfred Bleskin
Der Plan, den der UN-Gesandte Martti Ahtisaari in Belgrad und Priština für die Zukunft des Kosovo vorgelegt hat, klingt realpolitisch. Allein, durchführbar ist er kaum.
Völkerrechtlich soll die von Serbien Kosovo i Methohija, von den Albanern Kosova genannte serbische Provinz ein Konstrukt werden, das es so noch nie gegeben hat. Das Kosovo erhält demnach das Recht auf eine eigene Verfassung, in der die Rechte aller nationalen Minderheiten garantiert werden müssen. Möglich sind der Beitritt zu internationalen Organisationen einschließlich UNO, EU und NATO sowie der selbständige Abschluss internationaler Abkommen. Das künftige Kosovo darf eigene staatliche Symbole besitzen, die die selbsternannte Republik eigentlich schon hat. Nur müssen Wappen, Flagge und Hymne künftig den multinationalen Charakter der Provinz widerspiegeln. Der weiße serbische neben dem schwarzen albanischen Doppeladler? Ein panslawisch-orthodoxes blau-weiß-rotes Kreuz über dem Rot der Skipetaren? Und dazwischen die UN-Erdkugel, die EU-Sterne und die NATO-Windrose als Zeichen der politisch-militärischen Oberaufsicht, unter der das Kosovo verbleiben soll?
Der Ahtisaari-Plan führt über kurz oder lang in die Unabhängigkeit, auch wenn der einstige finnische Staatspräsident das Wort ebenso wie den Begriff Souveränität scheut wie der Teufel das Weihwasser. Ein Staat Kosovo ist für Serbien inakzeptabel. So ist die Ablehnung Belgrads ebenso nachvollziehbar wie die Zustimmung der albanischen Verwaltung in Priština.
Das Vorhaben birgt Zündstoff in sich, der über die Grenzen Serbiens und über den Balkan hinausreicht. Es ist eine Frage der Zeit, bis die Forderungen der Serben in Bosnien-Herzegowina nach Unabhängigkeit oder Zusammenschluss mit dem serbischen Kernland unüberhörbar werden. Die Wortführer der im Norden des Kosovo verbliebenen serbischen Minderheit von rund 100.000 Menschen haben schon wiederholt damit gedroht, die Region um Kosovska Mitrovica für unabhängig zu erklären und damit den Weg zur Union mit der Republik Serbien freizumachen.
Ungeklärt ist auch das Recht auf Rückkehr der rund 150.000 nach dem Ende des NATO-Luftkrieges gegen Jugoslawien aus dem Kosovo geflohenen oder vertriebenen Serben, Roma und Angehörigen anderer Nationalitäten. Strittig ist zudem die Eigentumsfrage. Serbien beansprucht Betriebe, Vermögen und Liegenschaften, die dem Land aus seiner Sicht als Nachfolgestaat der untergegangenen Sozialistischen Föderativen respektive Bundes-Republik Jugoslawien zustehen. Ahtisaari will sie dem Kosovo zusprechen, diesem allerdings auch seinen Anteil an den Auslandsschulden Serbien aufbürden.
Die UN-Vetomacht Russland wird dem Plan im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Das liegt weniger an der oft beschworenen slawischen Solidarität, denn vielmehr an der Furcht, der Plan könnte mehrheitlich muslimischen Teilrepubliken der Föderation wie Tschetschenien als Blaupause für eigene Ambitionen dienen.
Der Kosovo-Plan lässt das Dilemma erkennen, in das die auf Atomisierung des einstigen Bundesstaates Jugoslawien angelegte Politik der NATO und der EU geraten ist. Die als prowestliche Demokraten apostrophierten bürgerlichen Gegner von Erzfeind Slobodan Milošević wie Vojislav Koštunica oder Vuk Drašković haben sich nach dessen Ausschaltung als das offenbart, was sie immer waren: serbische Nationalisten, deren wichtigster Unterschied zum blassroten Milošević im Schwarz der Tschetniks besteht. Weder in Serbien noch im Kosovo ist in den vergangenen Jahren eine Zivilgesellschaft entstanden, die kompromissbereit und – fähig wäre. Was nicht zuletzt auch im miserablen Zustand begründet ist, in dem sich die Wirtschaft ganz Serbiens befindet.
So steht zu erwarten, dass das Kosovo seinen provisorischen Status, wenn nicht de jure, dann doch de facto in den kommenden Jahren perpetuiert. Mit all den unwägbaren Konsequenzen, die dies für den Balkan und das übrige Europa in sich birgt.
Quelle: ntv.de