Person der Woche

Person der Woche Erdoğan erpresst Europa

IMG_ALT

Angela Merkel brauchte auf dem EU-Gipfel einen Befreiungsschlag, die Türkei sollte ihr Problemlöser werden. Doch Erdoğan führt die Kanzlerin vor und pokert hoch.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat alles auf eine Karte gesetzt. Die Türkei soll ihr das erledigen, was sie selbst verweigert: Grenzschutz. Die Republik gerät zusehends ins Wanken, Rechtspopulisten machen mobil, Kommunen flehen um Moratorien, die Stimmung im Land wird immer gereizter, es mehren sich Übergriffe, die CSU nennt Merkels Politik "Herrschaft des Unrechts". Doch die Kanzlerin hat seit Wochen nur eine Botschaft – gebt mir Zeit bis zum Gipfel.

Nun ist die Zeit abgelaufen, der große Türkei-Deal sollte kommen – doch er bleibt erst einmal aus. Denn Angela Merkel hat sich auf ein riskantes Spiel eingelassen, in dem alle Trümpfe in der Hand des Despoten Recep Tayyip Erdoğan liegen. Der türkische Staatspräsident weiß, dass Merkel ihn dringend braucht, ja von ihm abhängig geworden ist. Erdoğan genießt diese Machtposition und führt die deutsche Bundeskanzlerin regelrecht vor. Zunächst lässt er die Kanzlerin in die Türkei anreisen, dann sagt er die Teilnahme an einem ersten Termin für diesen EU-Türkei-Gipfel ab und erhöht den Druck. Dann schickt er seinen ergebenen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu zum zweiten Termin mit völlig neuen Offerten. Er demonstriert Europa – ich bestimme die Agenda, niemand sonst. Wie auf der Hauptversammlung eines angeschlagenen Konzerns stolziert Erdoğan in der Pose eines neuen Großaktionärs. Und so fordert er plötzlich einige Milliarden mehr – und erzwingt einen weiteren Gipfel.

Damit ist Angela Merkel brüskiert, denn jetzt weiß alle Welt, dass sie nicht Herrin des Verfahrens ist, dass ihre mühsamen Vorgespräche und ihr Hofieren in Ankara eine einseitige Unterwerfung gewesen sind. Kurzum: Erdoğan hat ein bitteres Spiel politischer Erpressung begonnen. Mal fordert er eine Luftbrücke für Flüchtlinge direkt nach Deutschland, dann will er Millionen für eine neue Flüchtlingsstadt in Syrien. Mal will er freie Hand im Kurdenkrieg, dann wieder Visa-Erleichterungen oder Handelserleichterungen. Erdoğan geht durch die EU-Reihen wie durch einen Supermarkt seiner Forderungen. Er erpresst jetzt, was er bekommen kann – bis hin zu einem EU-Beitritt wird nun alles möglich, was Europa bislang nicht wollte.

Feist grinst Erdoğan Europa ins Gesicht

Wie arrogant Erdoğan in dieser Krise handelt, zeigt sein Vorgehen gegen die Pressefreiheit in der Türkei. Ganz bewusst unmittelbar vor dem Gipfel lässt er eine regierungskritische Zeitung stürmen und gleichschalten. Feist grinst er Europa ins Gesicht, während er die Menschenrechte mit den Füßen tritt. Seine Botschaft: Ich kann mir jetzt alles leisten.

Erdoğan macht aus der Türkei ein islamistisches Neo-Sultanat, er führt brutal Krieg gegen die Kurden im eigenen Land und in Syrien. Er strebt ein neues osmanisches Reich an, und seine aggressive Politik hat den Flüchtlingsstrom mit ausgelöst – und nun schlägt er daraus kaltes, politisches Kapital. Dass Merkel sich auf dieses zynische Spiel mit Menschen und ihrem Leiden einlässt, untergräbt in Europa die Integrität ihrer Politik. Sie verliert Gefolgschaft, zuletzt sogar bei den so lange Merkel-treuen Österreichern.

Erdoğan weiß das und genießt den strategischen Fehler Merkels. Vor wenigen Tagen erklärte er: "Egal wie grob, wie gnadenlos, wie gewissenlos die westlichen Länder sich verhalten, sie haben keine Chance, diesen Strom unter Kontrolle zu halten." Kurzum: Er versteht die Massenflucht als eine politische Waffe, um Europa unter Druck zu setzen. In Diplomaten- und Militärkreisen kursiert seit Monaten die Vokabel "Migrationswaffe", weil der türkische Geheimdienst die Wanderungsbewegung von Muslimen massiv und gezielt befördert habe. Denn die Türkei verdient inzwischen gewaltige Beträge an allerlei Migrations-Dienstleistungen und lässt die Flüchtlingsindustrie blühen. Zugleich verfolgt Erdoğan offen die schleichende Islamisierung Europas. Mit seiner Religionsbehörde Diyanet soll Europa (und insbesondere in Deutschland) planvoll islamisiert werden; die Flüchtlinge spielen dabei eine Schlüsselrolle, etwa mit Moscheebauten, um den Gläubigen in der Fremde "eine Heimat zu schenken". Erdoğans Lieblingszitat dazu stammt aus einem Gedicht von Ziya Gökalp: "Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette." Erdoğan versteht sich innen- wie außenpolitisch als religiöser Kulturkämpfer, als Schutzpatron der islamistischen Expansion.

Merkel ist moralisch gescheitert

Vor allem dient Erdoğan die Schwäche Merkels und Europas dazu, in der Kurdenfrage freie Hand zur blutigen Unterdrückung zu bekommen. Er fordert vom Westen eine Abkehr von den kurdischen Verbündeten. Den Bitten Europas nach einem Ende der türkischen Angriffe auf die kurdischen YPG-Milizen in Syrien erteilt er eine harsche Absage. "Wir denken nicht daran." Erdoğans Ministerpräsident Ahmet Davutoglu droht flankierend vor einer "neuen Welle hunderttausender Flüchtlinge" aus Syrien aufgrund des Vormarsches kurdischer Kämpfer. Damit wird Deutschland gezwungen, seinem wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den IS-Terrorstaat zu verraten, und Erdoğan bekommt freie Hand für die Teileroberung Syriens. Um die Expansion des neuen osmanischen Reiches zu finanzieren, zwingt er Europa sogar neue, türkische Städte in Nordsyrien zu finanzieren, angeblich zum Schutz der Flüchtlinge, in Wahrheit zum Ausbau des Erdoğan-Imperiums.

Ausgerechnet diesem Despoten die Lösung der Migrationskrise anzuvertrauen, sorgt unter einigen europäischen Staaten für großen Unmut. Nicht nur Ungarn lehnt jede Form des Menschenhandels mit Ankara strikt ab. Europa müsse selber die eigenen Grenzen sichern, sonst bekomme man eine Grenze von Erdoğans Gnaden. Angela Merkels Strategie, alle Grenzen offen zu halten und sich völlig auf die Türkei zu verlassen, ist schon jetzt halb gescheitert. Moralisch sogar ganz.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen