Person der Woche Wo bleibt der Steinmeier-Plan?
11.03.2014, 09:43 Uhr
In der Krimkrise könnte er der perfekte Brückenbauer zwischen Russland und dem Westen sein. Doch bislang wirkt er wie ein Gejagter. Die Lage in der Ukraine bringt Außenminister Steinmeier in eine verzwickte Lage.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ist so etwas wie der nette Onkel der deutschen Politik. Er spricht im Tonfall eines Gute-Nacht-Geschichtenerzählers, er hat - was selten ist in der Politik - ein konziliantes Wesen und gilt allseits als fleißiger wie -noch seltener - seriöser Gestalter der Macht. Seitdem er seiner schwerkranken Frau eine Niere gespendet hat, steht er auch moralisch bei den Deutschen in hohem Ansehen. Und da er schließlich eine gute Figur im Amt des Außenministers macht, überholt er sogar Angela Merkel als beliebtester Politiker Deutschlands. Kurzum: Ein perfekter Kandidat für das Bundespräsidentenamt im Jahr 2017.
Bei einer weltpolitisch milden Großwetterlage hätte sich Steinmeier in dieser Legislatur vom Außenminister-Gardemaß der Heinrich von Brentanos, Walter Scheels oder Joschka Fischers in die Reputationsgefilde der Legende Hans-Dietrich Genscher emporschwingen können. Doch nun stehen die Zeichen der Weltpolitik auf Sturm. Und just Steinmeier steckt mittendrin. Statt sonorer Freundlichkeit beherrscht stählerne Schneidigkeit die Szenerie und alle Welt beobachtet ganz gebannt, wie Steinmeier nun agiert. Schon weil auf ihm die Hoffnung ruht, die Sache doch noch gütlich beizulegen.
Denn Deutschland fällt in der Krim-Krise eine Schlüsselrolle zu. Zwischen wütenden Amerikanern, panischen Osteuropäern und säbelrasselnden Russen wirkt Deutschland derzeit als vermittelnde Instanz – als besonnene Macht, die deeskaliert, wo sie nur kann. Berlin hält die Gesprächsfäden nach allen Seiten noch in der Hand, wo andernorts nur noch agitiert, provoziert und gewütet wird. Deutschland hat im Westen die besten Beziehungen nach Moskau – wirtschaftlich wie politisch. Und in der Person Steinmeiers auch ganz persönlich. Er kennt sowohl Putin als auch Außenminister Lawrow und Ministerpräsident Medwedjew richtig gut. Während Steinmeiers Zeit als Kanzleramtschef führte Medwedjew die Präsidialverwaltung in Moskau. Medwedjew war also für Putin, was Steinmeier damals für Schröder war. Die beiden (auch in ihrem Temperament verwandten) Männer kennen und schätzen sich seit vielen Jahren. Lawrow ist sogar Steinmeiers "lieber Sergej" und zu Putin hat er über Gerhard Schröder ebenfalls einen persönlichen Draht gefunden.
Doch da beginnt auch Steinmeiers Dilemma. Denn Schröders Nähe zu Putin und Gazprom ist für den deutschen Außenminister ein veritables Problem. Der öffentliche Eindruck, er gehöre irgendwie mit zu diesem Kerle-Klüngel, wäre fatal für seine diplomatische Mission in der Krise. Darum redet Steinmeier dieser Tage zuweilen betont russlandkritisch, was nicht wirklich zu ihm und seiner Rolle passt. "Empörend" schimpfte er den Umgang Moskaus mit der Ukraine lauthals und direkt nach seiner Wieder-Ernennung im Dezember 2013. Und wenn Moskau in der Ukraine-Krise nun nicht endlich einlenke, dann "wird man die nächste Stufe der Sanktionen erreichen müssen", donnert Steinmeier jetzt in Fernsehkameras, als müsste er kritischen Amerikanern beweisen, dass er kein Zögling des Gas-Gerd-Freundeskreises sei.
Wie ein republikanischer Senator
Steinmeiers zweites Dilemma besteht darin, dass jede denkbare (Wirtschafts-)Sanktion insbesondere Deutschland selbst schwer schaden würde. Was Amerikanern oder Spaniern leichtfällt, Moskau mit irgendwelchen Wirtschaftsblockaden zu bestrafen, wirkt aus deutscher Sicht wie ein Schuss ins eigene Knie. Er muss also bei den Gesprächen der westlichen Alliierten über das potenzielle Strafregister immer den milden Sozialarbeiter geben, was dann wiederum das Zerrbild vom Gas-Gerd-Freund befördert. Und so räsoniert er zuweilen selber wie ein republikanischer Senator über die Notwendigkeit von Sanktionen und über einen hohen Preis, den man auch wirtschaftlich zahlen werde, um dem Recht zur Geltung zu verhelfen.
Das dritte Dilemma Steinmeiers liegt in der Sache selbst. Die Ukraine wird als zerfallender Staat in der jetzigen Form nicht zu halten sein. Die Krim wird in der einen oder anderen Variante ein russisches Protektorat - der Westen kann es nicht verhindern, und vielleicht sollte er es auch gar nicht. Steinmeier weiß um einige legitime Argumente der Russen, um den Mehrheitswillen der dortigen Bevölkerung, um die historische Zusammengehörigkeit, um die Fehler der westlichen Ukraine-Strategie. Das Beispiel Jugoslawiens und das Selbstbestimmungsrecht der Völker sind dem deutschen Außenminister wohl gewahr, sodass er eine einseitige Blockadepolitik des Westens vor neuen Grenzen in der Ukraine insgeheim hinterfragt. Und doch muss er sie vertreten, weil die Räson Europas das im Moment verlangt.
Dieses Dilemma wird dazu führen, dass sich der Westen und Russland sehenden Auges in eine Spirale der Eskalation, in einen neuen Kalten Krieg begeben - obwohl keiner ein wirkliches Interesse daran hat. Der üble, zwangsneurotische Geist von 1914 wabert damit durch Europa.
Was will man Russland geben?
Die Aufgabe der Stunde besteht also darin, sich von den Dilemmata zu emanzipieren und Abstriche von den eigenen Positionen zu machen. Steinmeier müsste alsbald eine echte, konkrete Blaupause zur Lösung der Krimkrise vorlegen - mit echten Zugeständnissen an Russland. Aber wagt er das auch? Bislang ergeht er sich darin, nach "diplomatischen Formaten" zu rufen, mit denen man den Dialog aufrechterhielte. Dabei wären jetzt ein inhaltliches Format, ein Lösungsvorschlag, machtpolitische Gestaltung gefragt.
Wenn Steinmeier – zu Recht – die wechselseitige Eskalation kritisiert, die "schärfste Krise" diagnostiziert, vor einer "Spaltung Europas" und einem "Blutvergießen" warnt, dann helfen Sanktionen und Drohgebärden nicht weiter. Wem nutzt es, Putin zu dämonisieren und Russland zu isolieren? Es sei die "Stunde der Diplomatie", heißt es dieser Tage im Umfeld Steinmeiers. Doch Diplomatie bedeutet immer Geben und Nehmen. Was will man aber Russland geben? Oder was von Russland nehmen, wenn man in der Krim etwas gibt? Es braucht endlich Realpolitik, einen konkreten Steinmeier- oder Merkel-Plan, der Russland einbindet. Wenn Moskau ein Zugeständnis bei der Krim gewährt würde, könnte man umgekehrt für die Ukraine mehr heraus handeln: Geld, Stabilität, Anerkennung, Westbindung. Und den Frieden in Europa nebenbei.
Am Ende käme Steinmeier sogar aus der Rolle des onkelhaften Schönwetter-Attachés heraus und würde ein großer Außenminister. Wie weiland Genscher 1989 – denn wenn einem die Schlüsselrolle schon zufällt, dann sollte man die Schlüssel der Diplomatie auch wirklich drehen.
Wolfram Weimer ist einer der renommiertesten Publizisten Deutschlands. Er war Chefredakteur der Tageszeitungen "Die Welt" und "Berliner Morgenpost" sowie des "Focus". Weimer ist außerdem Gründungsherausgeber des von ihm 2004 geschaffenen Politik-Magazins "Cicero". Seit 2012 gibt er als Verleger in der Weimer Media Group eine Reihe von Wirtschaftsmedien wie den "Wirtschaftskurier" und die "Börse am Sonntag" heraus.
Quelle: ntv.de