Umstrittene Verkaufsseminare für Ärzte "Das ist das Ende des Solidarsystems"
30.07.2012, 21:00 Uhr
"Igel" – das steht für "individuelle Gesundheitsleistungen" und beschreibt ärztliche Behandlungen, die zum Teil keinen medizinischen Nutzen haben und deshalb nicht von Krankenkassen bezahlt werden. Ärzte bieten sie an, um ihre Kasse aufzubessern. Dass die Bundesregierung ihnen dafür Verkaufsseminare anbietet, sorgt in der Presse für Empörung.
Nach Angaben der Ludwigsburger Kreiszeitung gedeiht das Geschäft mit den sogenannten Igel-Leistungen prächtig. Die Gefahr: "Da Patienten in aller Regel nicht einschätzen können, ob eine Extra-Vorsorgeuntersuchung für sie sinnvoll ist oder nicht, kommt dem Arzt eine enorme Verantwortung bei der Beratung zu. Für nicht wenige reduziert sich diese Verantwortung aber offenbar auf den eigenen Geldbeutel." Das Blatt ist überzeugt: "Dass die Regierung dies finanziell fördert, schlägt dem Fass den Boden aus."
So sieht das auch das Hamburger Abendblatt: "Dass der Bundeswirtschaftsminister Verkaufsseminare für Ärzte fördert, ist ein Skandal. Legal, aber nicht legitim." Laut der Zeitung braucht man schon reichlich Chuzpe, wie offensichtlich Wirtschaftsminister Philipp Rösler von der FDP, hier von Wettbewerb unter Ärzten zu sprechen, von "Know-how" für kleine Betriebe - und das Ganze mit Marketing-Seminaren für Gemischtwarenhändler zu vergleichen.
Die Südwest Presse erkennt in dieser Haltung schon das drohende "Ende des Solidarsystems". Greifen in der Krankenversorgung die Marktregeln, gilt laut dem Blatt bald: "Nur wer reich ist, kann sich Diagnosen und Therapien leisten."
Die Nürnberger Zeitung hofft vor diesem Hintergrund auf ein Umdenken der Politik: "Jetzt muss das Wirtschaftsministerium zurückrudern", schreibt das Blatt. "Die Igel-Liste wird bleiben. Vielleicht sollten aber künftig Kurse zur Förderung der mündigen Patienten angeboten werden." Darin soll es im Sinne der Zeitung um das Erlernen einer höchst wirksamen Zauberformel gehen. "Sie lautet dem Arzt gegenüber: Nein danke!"
Die Allgemeine Zeitung hofft dagegen auf ein Einsehen der Ärzteschaft: "Derlei Abzocke mit staatlichen Geldern zu fördern, ist allemal unmoralisch und muss sofort eingestellt werden. Besser allerdings wäre es noch, wenn Ärzte diese Instruktionskurse selbst ablehnten und sich stattdessen möglichst objektiv über Nutzen und Sinn der Igel-Angebote informieren würden." Im eigenen Interesse, davon ist die Allgemeine Zeitung überzeugt. "Denn sonst verlieren sie nicht nur die Einnahmen durch diese Zusatzleistungen, sondern auch gleich noch die in ihrem Vertrauen enttäuschten Patienten."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Thomas E. Schmidt